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10 Kriterien: Additive Fertigung oder Spritzguss?

Nachdem der 3D-Druck dem Prototyping entwachsen und auch für die Produktion geeignet ist, stehen Entwickler und Konstrukteure vor der Frage: Spritzguss oder Additive Fertigung? Diese 10 Kriterien helfen Ihnen bei der Auswahl des passenden Fertigungsverfahrens.

Autorin: Laura Galloway, Boston Micro Fabrication

Die Formen und Werkzeuge für den Kunststoffspritzguss kosten Zehn- oder sogar Hunderttausende von Euro und rentieren sich erst bei hohen Produktionsmengen. Bis zu diesem Übergangspunkt bringt der 3D-Druck Vorteile – danach wird Spritzgießen rentabler. Doch neben der Stückzahl gibt es weitere Kriterien für die Auswahl der passenden Fertigungstechnologie. Der Druckerhersteller Boston Micro Fabrication (BMF) stellt Vor- und Nachteile gegenüber.*

 1. Vorlaufzeiten

Die Herstellung der Stahl- oder Aluminiumformen, die für das Spritzgießen benötigt werden, kann Wochen oder Monate dauern. Darauf folgen Musterteile für Funktionstests und Maßhaltigkeitsprüfungen, die der Spritzgießer seinem Kunden schickt. Wenn die Erstmuster nicht den Anforderungen entsprechen, muss der Formenbauer das Werkzeug anpassen. Das verlängert den Zeitplan des Projekts.

In der Additiven Fertigung wird kein Metallwerkzeug konstruiert, mechanisch bearbeitet oder getestet. Die Kunden erhalten Muster ihres Produkts. Sind Änderungen erforderlich, wird nur die 3D-Konstruktion geändert oder die Einstellung des Druckers angepasst. Per 3D-Druck lassen sich auch Spritzgussformen in kleinen Stückzahlen herstellen.

2. Einrichtungskosten

Die Werkzeuge verursachen beim Spritzgießen die höchsten Kosten. Die Materialkosten schlagen zusätzlich auf: Stahl ist teurer als Aluminium und Metalle kosten mehr als die Kunststoffe, mit denen Kleinserienformen 3d-gedruckt werden. Produktionsformen verursachen höhere Kosten als Prototypenformen. Insgesamt variieren beim Spritzgießen die Werkzeugkosten mit der Größe und Komplexität der Form. Im 3D-Druck entstehen diese Kosten nicht.

3. Stückzahlen

Der Vergleich zwischen Spritzguss und Additiver Fertigung sollte vier Stückzahlen berücksichtigen: die der Erstbestellung, der Jahresproduktion, der Gesamtstückzahl und eine Grenzstückzahl. Standardteile haben Grenzmengen im niedrigen Tausenderbereich. Kleine, hochpräzise Teile lohnen sich erst im Bereich von Zehntausend. Hier eignen sich Mikro-3D-Druck-Verfahren wie das PµSL (Projektionsmikro-Stereolithografie) von BMF.

Ansonsten gilt: Wer hohe Stückzahlen in einem einzigen Durchgang fertigen muss, kommt mit Spritzgießen schneller ans Ziel.

4. Materialien

Spritzguss und Kunststoff-3D-Druck verwenden teilweise die gleichen Materialien, zum Beispiel ABS, Acetal, Acryl, PEEK, PEI, Polycarbonat, Polyethylen und PTFE. Aber die Endeigenschaften der spritzgegossenen und 3D-gedruckten Materialien unterscheiden sich. Daneben unterstützt Spritzguss einige Materialien, die im 3D-Druck nicht verwendet werden können, und umgekehrt.

Immer mehr Druckerhersteller lassen Entwicklern die Wahl bei Materialien. Auch BMF hat ein solch offenes Materialsystem. Inzwischen gibt es auch Verbundwerkstoffe und Metalle, die auf Kunststoff-3D-Druckern verarbeitet werden.

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5. Bauteilgröße

Kleinste Teile werden heute im Mikrospritzgießen hergestellt, allerdings mit hohen Werkzeugkosten und einigen Einschränkungen. Dazu gehören die Größe der Form, die Möglichkeiten der Maschine und die Mindestwandstärke des Teils.

Für mikroskopisch kleine Teile gibt es den Mikro-3D-Druck, zu dem das PµSL-Verfahren von Boston Micro Fabrication zählt. Damit werden Teile gedruckt, die kleiner sind als ein menschliches Haar mit einem Durchmesser von etwa 70 µm. Der Mikro-3D-Druck konkurriert nicht nur in Bezug auf die Größe mit dem Präzisionsspritzgießen. Mit diesen additiven Verfahren können auch sehr enge Toleranzen erreicht werden.

6. Toleranzen

Die Toleranzen betragen bei unkritischen Anwendungen von Spritzgussteilen normalerweise ± 0,1 mm. Bei kritischen Bauteilen, wie in medizinischen Anwendungen, sind ± 0,025 mm üblich.

Im Mikro-3D-Druck werden die Fertigungstoleranzen in Mikrometern (µm) statt in Millimetern (mm) gemessen. Da 1 µm 0,001 mm entspricht, sind die Drucktoleranzen von ± 10 µm und  ± 25 µm besonders eng.

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7. Bauteilfestigkeit

Spritzgussteile sind in der Regel fester als 3D-gedruckte Komponenten. Das liegt vor allem daran, dass spritzgegossene Teile in einem Materialschuss hergestellt werden.

Der 3D-Druck erzeugt die Teile Schicht für Schicht. Am Ende kommt es auf das Material an. Inzwischen sind einige Materialien, darunter auch die von BMF wie RG-Harz, als langlebige technische Materialien für funktionale Endanwendungsteile geeignet.

8. Reifegrad der Entwicklung

Für das Spritzgießen kommen nur serienreife Bauteile infrage, die in hohen Stückzahlen hergestellt werden. Designänderungen nach Produktionsanlauf sind schwierig, zeitaufwendig und kostspielig.

Die Additive Fertigung erlaubt dagegen viele Entwicklungsänderungen vom Prototyping bis zur Produktion. So werden Probleme schnell erkannt und korrigiert, ohne dass Werkzeuge verschrottet werden oder Material verschwendet wird. Ein wichtiger Vorteil bei Neuentwicklungen, die noch nicht ganz ausgereift sind.

9. Designkomplexität

Beim Spritzgießen begrenzt die Werkzeugtechnik das Teiledesign. So können beispielsweise Teile mit rechten Winkeln beim Auswerfen brechen, oft werden Rippen zur Unterstützung benötigt.

Im Vergleich dazu ist die Geometrie von 3D-gedruckten Bauteile viel komplexer. Von Löchern in der Mitte der Teile über komplizierte Formen bis zu Speichen ähnlichen Strukturen eröffnet die Additive Fertigung eine größere Designfreiheit.

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10. Oberflächengüte

Schließlich muss beim Vergleich von Spritzguss und 3D-Druck die Oberflächenbeschaffenheit berücksichtigt werden. Spritzgussteile können feinere Oberflächen haben, allerdings zu höheren Werkzeugkosten. Beim Kunststoffspritzguss enthalten die Teile Oberflächenfehler wie Angussabdrücke.

Im Allgemeinen weisen 3D-gedruckte Teile eine rauere Oberfläche auf, die nach der Herstellung geglättet werden muss.

Wann eignet sich welche Methode?

Spritzgießen ist ideal für die Großserienproduktion und für Projekte mit längeren Entwicklungszyklen. Spritzgießen funktioniert zwar bei Teilen in verschiedenen Größenklassen, bietet dabei aber weniger Gestaltungsfreiheit. Die Additive Fertigung eignet sich für kleinere Produktionsläufe, Entwicklungen mit häufigen Änderungen und Projekte mit kürzeren Durchlaufzeiten. (sk)

* Anmerkung der Redaktion: Bei den additiven Verfahren bezieht sich BMF vorwiegend auf den Mikro-3D-Druck. Unter anderem, da ihr eigenes Verfahren, die Projektionsmikro-Stereolithografie (PµSL), dazu gehört. In diesem Verfahren werden Teile im Mikromaßstab mit Kunststoffen, metallbeschichteten Kunststoffen, Keramik, Hydrogelen oder Verbundharzen hergestellt. Die hier angeführten Kriterien gelten allerdings für die meisten Verfahren des Kunststoff-3D-Drucks.

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