Wirtschaftsmeldungen

Diese rechtlichen Spielräume haben Unternehmen in Krisen

Inflation, Energiekrise, Lieferengpässe – Unternehmen haben es derzeit schwer, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Gerade dann ist es von Vorteil, sein Recht zu kennen.

Die durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Preissteigerungen und Lieferengpässe setzen der deutschen Wirtschaft zu. Was können Unternehmen tun, wenn ihnen durch Krisen und deren Folgen der betriebliche Alltag erschwert wird oder sie im schlimmsten Fall Aufträge nicht mehr wirtschaftlich abarbeiten können? BLECH sprach mit Marion Gutheil, Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Mönig Wirtschaftskanzlei, über Möglichkeiten, Pflichten und ein gutes Miteinander.

Foto: Monika Baumann
Marion Gutheil ist Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht bei der Mönig Wirtschaftskanzlei.

Frau Gutheil, es wird für Unternehmen immer schwieriger, wirtschaftlich zu operieren. Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, wenn die Material- und Vorproduktkosten immer weiter in die Höhe schießen?

Marion Gutheil: Aktuell kann man jedem Unternehmen nur raten, seine eigenen Verträge so flexibel wie möglich zu gestalten. Dazu zählt zum Beispiel der Verzicht auf lange Vertragsbindungen oder das Hinzufügen von Klauseln, die dazu verpflichten, die geltenden Vertragsbedingungen in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Für den Fall, dass keine Einigung erzielt wird, sind auch kurzfristige Kündigungsmöglichkeiten ratsam. Aber auch in der Angebotsphase lässt sich durch kurze Angebotsfristen mehr Flexibilität erreichen, sollten die eigenen Beschaffungskosten steigen. Alternativen wären freibleibende Angebote oder das Vermeiden von Kosten der Warenabgabe wie zum Beispiel Transportkosten. Mit der Lieferung ab Werk liegt das Risiko weiter steigender Diesel- beziehungsweise Benzinpreise und ansteigender Logistikkosten dann beim Abnehmer.

Sollten bestimmte Materialien oder Bauteile irgendwann gar nicht mehr verfügbar beziehungsweise zu teuer sein, können Unternehmer bedenkenlos auf (günstigere) Alternativen zurückgreifen?

Marion Gutheil: Hier muss man zwischen verschiedenen Fällen unterscheiden. Hat ein Unternehmen zum Beispiel ein bestimmtes Produkt zugesagt, müsste man sich zunächst anschauen, ob dieses Produkt zertifiziert sein muss oder eine sonstige Zulassung erforderlich ist. Wenn das nicht der Fall ist, hat die Firma grundsätzlich die Möglichkeit, ein Produkt der gleichen Art und Güte zu liefern. Ich rate aber immer dazu, vorher Kontakt mit dem Kunden aufzunehmen und eine Einigung herbeizuführen. Denn im Normalfall steht der Kunde auch bei alternativen Anbietern vor dem gleichen Problem, dass auch dieser das Bauteil nicht wird beschaffen können.

Gibt es aber Verpflichtungen, was die Materialien und Bauteile angeht, zum Beispiel weil ein Maschinenhersteller auf bestimmte Werkstoffe besteht, um die Garantie weiterhin zu gewährleisten, dann sieht die Situation anders aus. Bei Materialknappheit sollte der Lieferant schriftlich in Verzug gesetzt sowie zur Lieferung aufgefordert werden. Bei Nichteinhaltung der Liefervereinbarungen kann das Unternehmen sich dann mit dem Kunden beziehungsweise dem Hersteller in Verbindung setzen, um etwaige Vertragsstrafen zu vermeiden. Im besten Fall können sich die Parteien darauf einigen, dass die Nutzung von alternativen Materialien zugestanden wird, und zwar ohne Verlust der Gewährleistung.

Im Übrigen würde ich bei all diesen Themen in beide Richtungen offen agieren und getroffene Vereinbarungen immer schriftlich dokumentieren, um spätere Probleme in einem Beweisfall zu vermeiden. Hier ist eine Bestätigung per E-Mail über die getroffenen Absprachen hilfreich. Man kann meist nur auf ein grundsätzliches Verständnis hoffen, denn im Augenblick ziehen alle am gleichen Strang.

Inwieweit können Unternehmen die höheren Kosten an ihre eigenen Kunden weitergeben?

Marion Gutheil: Grundsätzlich gilt: pacta sunt servanda. Was zwischen den Parteien vereinbart wurde, muss auch erfüllt werden. Das Risiko trägt der Auftragnehmer. Das heißt, er selber trägt das Risiko, dass er Waren gar nicht oder nicht rechtzeitig beziehen kann oder nur zu erhöhten Preisen. Das ist ein wichtiges Grundprinzip des Vertragsrechts. Darin spiegelt sich das unternehmerische Risiko eines jeden Einzelnen wider. Im Moment ist es aber so, dass der Ukrainekrieg zumindest mittelbar die Ursache für die meisten Probleme wie Lieferengpässe, Preiserhöhungen und die gestiegenen Energiekosten ist. Daneben haben wir noch nachwirkend die Folgen der Coronapandemie, zum Beispiel Personalausfälle wegen Erkrankung, die durch die derzeitigen grippalen Ausfälle der Mitarbeiter noch verstärkt werden. Dann könnte ein Lieferant versuchen, sich hinsichtlich dieser eingetretenen Sachverhalte auf die sogenannte Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen, die im BGB § 313 geregelt ist. Einstieg und Voraussetzung dafür sind, dass es sich um einen Vertrag handelt, der vor Beginn des Ukrainekrieges geschlossen wurde. Denn in diesem Paragraph geht es um schwerwiegende Änderungen von Umständen, die nach dem Vertragsschluss erst eingetreten sind. Er ermöglicht eine nachträgliche Änderung des Vertrags. Aber auch dann sollten betroffene Unternehmen versuchen, eine einvernehmliche Lösung zu finden, bevor sie sich auf eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung einlassen.

Was raten Sie Unternehmen in solchen Fällen?

Marion Gutheil: Im Einzelfall würde ich eine juristische Begleitung anraten, gerade wenn man den § 313 BGB, die Störung der Geschäftsgrundlage, ins Feld führt. In der Praxis hat sich auch gezeigt, dass die Vertragspartner bei Nachverhandlungen zu Verträgen, wenn es bislang keine Preisgleitklauseln gegeben hat, durchaus offen sind. Sie verlangen allerdings in diesen Fällen regelmäßig, dass die Kalkulation offengelegt wird. Hintergrund ist, dass auch dem Auftraggeber nicht geholfen ist, wenn der aktuelle Auftragnehmer aufgrund fehlender Kostendeckung in wirtschaftliche Schieflage gerät und ein Projekt nicht fertiggestellt wird.

Bei Neuverträgen ist es wichtig, auf Preisgleitklauseln zu achten und diese auch von Beginn an zu verhandeln. Hier müssen Lieferanten allerdings bei einer Vereinbarung im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vorsichtig sein. Die Rechtsprechung ist hier sehr streng, was es schwierig macht, solche Klauseln wirklich wirksam in AGBs zu verhandeln.

Was passiert, wenn trotz aller Sorgfalt das Unternehmen den Vertrag nicht erfüllen kann?

Marion Gutheil: Ich würde auch hier den Kontakt mit dem Kunden suchen, für Verständnis werben und eine gemeinsame Lösung anstreben. Diese Kommunikation sollte auf jeden Fall im Nachgang schriftlich bestätigt werden. Zudem sollten betroffene Unternehmen beispielsweise schriftliche Hinderungsanzeigen versenden, die klar machen, welche Ursachen die Hinderung hat. Grundsätzlich sollten sie hier rechtliche Beratung suchen. Denn aktuell wird diskutiert, ob aufgrund des Krieges eingetretene Lieferengpässe auch als höhere Gewalt gelten könnten, was zum Beispiel Ausführungsfristen verlängern und auch vor Vertragsstrafen bewahren würde. Wenn es allerdings soweit gekommen ist, dass das Unternehmen insolvenzantragspflichtig ist – das heißt zahlungsunfähig oder überschuldet – dann muss der Geschäftsführer innerhalb einer Frist von maximal drei Wochen bei Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen im Fall der Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen. Im dritten Entlastungspaket hat die Regierung die Antragspflicht abgemildert. Bisher mussten Unternehmen einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen, wenn eine Fortführung des Unternehmens über die nächsten zwölf Monate nicht wahrscheinlich ist, jetzt sind es nur noch vier Monate. Diese Verkürzung greift zunächst bis zum 31.12.2023.

Welche Möglichkeiten haben Unternehmen, sich bereits im Vorfeld bestmöglich vor Preissteigerungen und Lieferengpässen zu schützen?

Marion Gutheil: Hier ist es genau umgekehrt wie gerade beschrieben: Wenn ich versuchen will, Preissteigerungen zu verhindern, sind für mich langlaufende Verträge gut und, wo es überhaupt noch möglich ist, mehr Lagerhaltung.

Kommen darüber hinaus auch Hilfsprogramme in Frage?

Marion Gutheil: Es gibt beispielsweise ein Förderprogramm der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau), welches im Mai 2022 in Kraft getreten ist: das sogenannte Förderprogramm UBR - Ukraine, Belarus, Russland 2022, welches bis zum 31.12.2023 befristet ist. Diese Förderung ist für Unternehmen gedacht, die direkt oder durch die Sanktionen vom Krieg betroffen sind. Dazu zählen Unternehmen, wenn sie mindestens 10 Prozent ihres Umsatzes in den drei genannten Ländern gemacht haben oder von Produktionsausfällen in diesen Ländern betroffen sind. Oder aber – dies könnte für viele Unternehmen vielleicht von Interesse sein –  wenn ihre Energiekosten dadurch gestiegen sind. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um einen Zuschuss, sondern um einen Kredit in der Höhe von maximal 15 Prozent des durchschnittlichen Umsatzes der letzten drei Jahre oder aber von maximal 50 Prozent der Energiekosten der letzten zwölf Monate vor dieser Antragstellung. Dadurch fallen auch Zinsen an. Die Höhe ist abhängig von der Laufzeit und man hat auch die Möglichkeit einer zweijährigen tilgungsfreien Zeit, in der nur die Zinsen gezahlt werden müssen. Ein Antrag wird über die Hausbank gestellt.

Haben Sie noch einen abschließenden Tipp für Unternehmen?

Marion Gutheil: Das Entscheidende ist Kommunikation – offene Kommunikation in alle Richtungen. Diese Kommunikation, die die getroffenen Vereinbarungen enthält, sollte anschließend sorgfältig dokumentiert werden. Ich glaube, in der aktuellen Situation ist ein gewisses Verständnis bei jedem dafür da, dass es eben jetzt nicht wie am Schnürchen läuft. Gerade, wenn Unternehmen zuvor ein verlässlicher Partner für einen Kunden gewesen sind, können sie hoffentlich mit Entgegenkommen und einer tragfähigen konsensualen Regelung rechnen.

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