Seine Leidenschaft, seine Idee, seine Konstruktion, sein Knowhow. Für seinen Arbeitgeber Trumpf ist es der Einstieg in einen neuen Markt: hochpreisige Fahrräder.
Christian Lengwenat, Applikationsingenieur bei Trumpf und privat ein begeisterter 3D-Drucker-Konstrukteur und Mountainbiker, hatte erkannt, dass der AM-Markt nicht so funktioniert, wie man es von den alten Branchen gewohnt war. Der Kunde kommt nicht auf den Hersteller zu und kauft eine Maschine. Nein, ein 3D-Drucker muss erst beweisen, dass er nützlich ist.
Also hat Lengwenat vorgeschlagen, Mock-ups von Fahrradkomponenten zu designen und zu drucken. So entstanden ein Bremssattel, ein Bremshebel und Pedale. Alle voll funktionsfähig und sogar bei ihm selbst im Einsatz. Bis auf den Bremssattel, da dieser nicht von einer offiziellen Stelle geprüft wurde. Zum Vorführen und für einen Funktionstest durfte er aber doch ans Rad.
Lattice-Strukturen und Honeycombs gegen Hitze
Die an Mountainbikes normalerweise angebrachten hydraulischen Scheibenbremsen überhitzen bei langen Abfahrten schnell. Daher hat Lengwenat sich entschieden, in den Bremssattel Kühlstrukturen einzuarbeiten. In der Additiven Fertigung geschieht das mit Gitter- (Lattice-) und Waben-Strukturen (Honeycombs). Um diese zu konstruieren, hat er das Programm Magics von Materialise genutzt. Für den Grundkörper arbeitet Lengwenat mit Solidworks.
Um die bestmöglichen Dimensionen und Topologien für die Honeycombs und Gitterstrukturen zu finden, druckte Lengwenat mehrere Varianten in einem Baujob. So hat er in nur einen Durchgang herausgefunden, dass manche Vorschläge der Software sich nicht eigneten, und gleichzeitig die bestmögliche Variante eruiert.
Eine Woche von Konstruktion bis Bauteil
Die bei Überhängen nötigen Stützstrukturen (Supports) werden per Hand weggebrochen, danach müssen die Oberflächen nur leicht nachgeschliffen werden. Ein Bremssattel besteht aus zwei Teilen, die zusammengeschraubt werden. Die Bohrungen dafür wurden gefräst. Als Material wählte Lengwenat die Aluminium-Legierung AlSi9Cu3. „Wenn ich die reine Arbeitszeit betrachte, hat es von der Konstruktion über den Baujob bis zum fertigen Bremssattel keine Woche gedauert“, rechnet Lengwenat nach.
Wer 280 der Bauteile auf einer Truprint 3000 druckt, wartet 91 h auf die Bremssättel und hat Produktionskosten von 15 bis 20 EUR pro Teil (cost per part). Der Bremssattel selbst ist leichter, verbraucht weniger Materialien und überhitzt beim Bremsen nicht so schnell. Um 23 % soll der Kühlungseffekt gestiegen sein. Außerdem können additiv gefertigte Bauteile individuell angepasst werden.
Stützen vermeiden
Damit Stützstrukturen sich leicht abbrechen lassen, braucht es die richtigen Algorithmen in der Konstruktions-Software und Erfahrung seitens des Konstrukteurs. Lengwenat hat Magics dafür genutzt. Außerdem hat er die Bauteile so geplant, dass möglichst wenig Supports nötig sind. Das klappt nicht immer beim ersten Versuch, aber mit der Zeit bekommt man ein Auge dafür.
Beim Bremshebel ist ihm das gelungen. Zuerst hatte dieser mehrere Querverstrebungen. Diese erfordern Stützstrukturen. Stützstrukturen, die unnötig sind. Denn im Gegensatz zu einer waagerechten Strebe, benötigen zwei gekreuzte Streben keine Stütze.
Trotz hochpreisigem Material wenig Kosten
Den ersten Titan-Bremshebel hat Lengwenat aus der Legierung Ti Gr. 2 gebaut. Inzwischen nutzt er Ti6Al4V Gr. 5. Titan ist ein weiterer Grund, Supports zu sparen. Denn im LPBF-Verfahren (Laser poweder bed fusion, auch SLM), mit dem die Truprint-Drucker arbeiten, werden die Stützstrukturen zwangsläufig mit dem selben Material gefertigt wie das Bauteil. Bei einem Werkstoff wie Titan, kann das in einer Serie teuer werden. „Ansonsten gibt es wenig Verluste“, bestätigt Nicolas Haydt, Technologieexperte für die additive Fertigung bei Trumpf. „Denn das Restpulver kann bis auf etwa 4 Prozent wiederverwendet werden.“ Das ist der Pulverausschuss, der dem Streuverlust des Lasers zum Opfer fällt. Dabei verschmelzen einzelne heiße Spritzer die Pulverkörner neben dem Bauteil.
So liegen die Herstellungskosten für einen Bremshebel bei 12 bis 15 EUR, wenn 120 Hebel in einem Durchgang in einer Truprint 3000 gedruckt werden. Ein Baujob dauert 17 h. Auch der Bremshebel hat Gitterstrukturen. Sie dienen weder der Kühlung noch der Optik, sondern einem besseren Gripp für den Finger. Der gesamte Bremshebel wiegt nur 8 g.
Titan für die anspruchsvollen Mountainbiker
Zu den Show-Teilen gehören auch Pedale. Bei ihnen wurden die Pins, die den Schuhen einen besseren Halt bieten, gleich mitgedruckt. Normalerweise sind die Pins Verschleißteile, werden eingeschraubt und sind wechselbar. Aber Titan ist ein robustes Material, die Abnutzung extrem gering. „Auch die Lagersitze für die Gleit- und Kugellager im Pedal sind direkt mitgedruckt“, sagt Lengwenat. So sparen sich die Hersteller von Fahrradkomponenten ein mechanisches Nachbearbeiten des Pedals. Auch in diesem Fall sollte der Konstrukteur Knowhow mitbringen, um Stützstrukturen zu vermeiden.
Zuerst hat Lengwenat Pedal und Bremshebel aus Aluminium gedruckt, doch richtig sinnvoll werden die Fahrradkomponenten für den Highend-Bereich erst mit Titan. Schließlich kann ein Mountainbike auch mal ein bisschen was abbekommen, da lohnt sich ein robusteres Material. Im Fall des Pedals handelt es sich um Ti6Al4V Gr. 5. „Der Pedalkörper wiegt lediglich 75 Gramm und hat bereits mehrere Testfahrten hinter sich - auch auf Downhillstrecken in den Alpen“, fügt Haydt an. Bei Trumpf verwenden sie Legierungen verschiedener Hersteller, die für die Truprint-Drucker optimiert sind. Wer ein ganz spezielles Material sucht, für den entwickelt Trumpf auch das entsprechende Pulver.
Lengwenat plant schon den nächsten Schritt. In Arbeit ist ein Pedal bei dem auch die Achse gedruckt wird. Lediglich Gewinde und Lagefläche müssen gedreht werden. Es soll komplett nur 84 g wiegen.
Komplexe Strukturen einfärben
Ein Vorteil der additiven Fertigung wird zum Nachteil. Die Gitter- und Waben-Strukturen sind nur schwer einzufärben. Haydt und Lengwenat schwören auf Anodisieren beziehungsweise Eloxieren. „So kommt man auch in die feinen Strukturen rein“, sagt Haydt. Als kleines Extra entsteht ein Schimmereffekt.
Ihre selbst designten und 3D-gedruckten Fahrradkomponenten haben Haydt und Lengwenat auf der Eurobike im Juli 2022 präsentiert. Nach eigenen Aussagen war der Ansturm groß. Anfängliche Skepsis, wie denn so leichte Bauteile die Belastungen aushalten können, konnten sie klären. Das Interesse sei groß gewesen, jetzt warten sie auf konkrete Aufträge der Fahrrad- und Komponentenhersteller. Denn Trumpf verkauft nicht die Bauteile, sondern die 3D-Drucker.
Auch unerfahrene Anwender könnten sich an die Maschinen trauen. Denn „wer eine Truprint kauft, der kann sie von uns komplett auf seine Anwendung abstimmen lassen, inklusive der Datenvorbereitung“, erklärt Haydt. Die ersten Baujobs werden von einem Trumpf-Applikateur begleitet. „Und die Cost per Parts sind beim Abschreiben der Maschine mit einkalkuliert“, fügt er noch an.