Wer sagt, dass Automation teuer sein muss – im belgischen Brügge hat das Schokoladengeschäft Roose’s Chocolate World zum Kampfpreis einen Roboter namens Chocomatic bauen lassen und verkauft jetzt Pralinen. Chocomatic verpackt Pralinen vor den staunenden Augen der Kunden, zum Einsatz kommt dabei ein Robolink Roboter von Igus, der auf einer siebten Achse verfährt. Eine Kundin betritt Roose’s Chocolate World in der Havenstraat 1 in Brügge. Sie nähert sich einem Kasten aus Glas von der Größe eines kleinen Zimmers. Darin mehrere Auslagen, gefüllt mit köstlichen Pralinen in den verschiedensten Farben und Formen. Eine Verkäuferin, die eine Bestellung erwartet? Nicht in Sicht. Stattdessen legt die Kundin ihren Finger auf ein Touchscreenterminal, scrollt durch das Angebot, stellt sich eine Pralinenkollektion zusammen und platziert eine Transportbox auf dem Fuß eines Roboterarms – alternativ funktioniert die Auswahl sogar mit dem Smartphone. Einen Klick auf die Entertaste später beginnt der schwarz-orange Roboter mit der Arbeit. Der elektrische Gehilfe fährt im Glaszimmer auf und ab, schwenkt den Arm in alle Richtungen, greift in die Auslagen, nimmt Pralinen mit einem Sauggreifer auf, legt sie fein säuberlich in die Box, ummantelt die Köstlichkeiten abschließend mit einer Goldfolie und fährt zur Ausgangsposition zurück. Die Kundin nimmt die Schachtel entgegen, um Leckereien und eine ungewöhnliche Erfahrung reicher. „Die Kunden begeistern sich für unseren Roboter. In Brügge mausert sich Chocomatic langsam zur Touristenattraktion“, sagt Michiel Roose, Sohn der Inhaber von Roose’s Chocolate World, Geschäftsführer des belgischen Maschinenbauers Roose Automation und Erfinder des Chocomatic. „Viele Menschen kommen extra mit ihren Kindern, um den Roboter bei der Arbeit zu beobachten. Es hat fast schon etwas Magisches.“
„Bei Low-cost-Automation führen fast alle Wege zu RBTX“ – Roboter verkauft Pralinen
Chocomatic ist nicht dafür gedacht, neue Produktivitätsrekorde aufzustellen oder Mitarbeiter zu ersetzen. Vielmehr unterhält der Roboter in erster Linie Kunden. Daher war es wichtig, die Kosten gering zu halten und auf teure Lizenzen zu verzichten, mit denen viele große Markenanbieter in der Robotik arbeiten. Roose machte sich deshalb auf die Suche nach einem Low-cost-Anbieter. „Das Angebot am Markt ist sehr überschaubar. Ich habe lange im Internet recherchiert und festgestellt: Fast alle Wege führen derzeit zu RBTX“, erinnert sich Roose. – RBTX? Hinter der Abkürzung verbirgt sich ein Marktplatz für Low-cost-Robotic, der Hersteller von Robotikkomponenten in einem Baukasten vereint. Das elektromechanische Grundgerüst bilden dabei Roboter des Kölner Kunststoffspezialisten Igus – darunter Gelenkarmroboter, Deltaroboter und kartesische Automaten. Dieses Gerüst lässt sich erweitern, und zwar um Einzelkomponenten anderer Hersteller, etwa um Kameras, GUIs, Gripper, Motoren, Sensoren oder Steuerungen. Mit wenigen Klicks stellte Roose aus diesen Komponenten eine Roboterlösung zusammen. „Die Kompatibilität ist garantiert, da unsere Ingenieure alle Komponenten in verschiedenen Kombinationen zusammengebaut und getestet haben“, erklärt Michael Hornung, Produktmanager drylin Linear- und Antriebstechnik international bei Igus. „Anwender genießen somit Investitionssicherheit.“
Roboterarm kostet nur 5.492 Euro
Um Chocomatic Wirklichkeit werden zu lassen, kaufte Roose bei RBTX einen Roboterarm namens Robolink. „Mit 5.492 Euro kostet der Arm kaum mehr als ein leistungsstarker Heimcomputer und ein Vielfaches weniger als vergleichbare Industrieroboterarme, die schnell mit mehreren Zehntausend Euro zu Buche schlagen“, so Hornung weiter. Der Grund für den Kampfpreis: Igus fertigt Komponenten wie das Wellgetriebe nicht aus Metall, sondern aus Tribokunststoffen – aus Hochleistungspolymeren, die auf maximale Robustheit und minimalen Verschleiß optimiert sind. Die Steuerung für den Roboter – eine Entwicklung des Partners Commonplace Robotics – kostet weitere 1.897 Euro. „Wir haben also für knapp 7.500 Euro eine schlüsselfertige Komplettlösung erhalten“, freut sich Roose. Ebenso der Betrieb ist kostengünstig. „Die Tribopolymere von Robolink ermöglichen einen Trockenlauf ohne Schmiermittel“, betont der Drylin Produktexperte. „Entsprechend entfallen Kosten für Material und Wartung.“ Und so ist es auch kein Problem, dass sich der Roboter im Geschäftsalltag mehr bewegt als unbedingt nötig. Hat er gerade keinen Auftrag, zieht er eine Show ab, fährt von rechts nach links und winkt mit dem Arm – zumindest immer dann, wenn Sensoren Publikum im Raum erkennen.
Ohne einen Kratzer: Robolink greift Pralinen auf 0,8 mm genau
Und so funktioniert die Show: Der Robolink ist auf einem Linearschlitten, der sogenannten siebten Achse, montiert. Per Zahnriemen wird er nun mit der schmiermittelfreien Igus Zahnriemenachse ZLW-20160 bis zu 3 m bewegt - angetrieben vom Schrittmotor NEMA23XL mit einem 5 : 1-Getriebe. Um einen sauberen Lauf ohne Verheddern zu ermöglichen, sind die Energie- und Datenleitungen in Energieketten von igus eingelegt, die der Bewegung des Wagens folgen. Und ein Schaltschrank? Der ist überflüssig. Die Steuerung des Roboterarms ist in seinen Fuß integriert. Das Kommissionieren lernt der elektrische Mitarbeiter schließlich dank einer von Roose entwickelten Software, die mit der Steuerung über eine Schnittstelle interagiert. Das hauseigene Programm wertet die Bilder der 3D-Kamera des Roboters aus und berechnet, in welcher Position und Reihenfolge die Pralinen in der Box Platz finden. Mitarbeiter müssen Chocomatic lediglich einschalten und gelegentlich Konfekt nachfüllen – aufwendige Schulungsmaßnahmen sind nicht erforderlich. Der Roboter bewegt sich autonom zu den einzelnen Exemplaren, nimmt sie mit dem Vakuumgreifer auf und legt sie in die Schale – mit einer Geschwindigkeit von 0,5 m pro Sekunde und einer Wiederholgenauigkeit von 0,8 mm. „Wir sind von der Präzision des robolinks wirklich begeistert“, sagt Roose. „Wir können sicher sein, dass der Roboter den ganzen Tag lang zuverlässig arbeitet und die kostbaren Pralinen nicht beschädigt.“ Zwar komme Chocomatic bislang nur bei Roose’s Chocolate World zum Einsatz, doch drei weitere Exemplare seien bereits verkauft und in der Fertigung. „Immer mehr Pralinengeschäfte und Museen erkennen, dass die Lösung ein echter Publikumsmagnet ist.