Für die teils langen Wege im Europa-Park Rust stehen den Besuchern verschiedene Transportmöglichkeiten zur Verfügung – und seit kurzem auch kleine innovative E-Züge, die jeweils beim Halt im Bahnhof ihre Speicher besonders schnell und berührungslos laden. Diese „Panoramabahn“, das miniaturisierte Abbild einer Dampflokomotive aus den Gründerzeiten der USA, fährt seit ihrer Umrüstung auf elektrische Energie- und Antriebskomponenten von SEW Eurodrive komplett CO2-frei.
Für die störungsfreie Funktion der Fahrgeschäfte sorgt Steffen Kasten, Betriebsleiter Betriebstechnik, mit einem Team von rund 50 Mitarbeitern. Er erinnert sich noch gut an den 26. Mai 2018, als ein Brand die Attraktion „Die Piraten in Batavia“ vollständig zerstörte und auch auf die nebenliegende Wartungshalle der Panoramabahn übergriff. „Dadurch brannten zwei von insgesamt fünf Zügen vollständig aus“, berichtet Kasten. Ursache des Brandes war ein technischer Defekt. Es entstand Sachschaden in Millionenhöhe.
Eine Parkbahn zum Transport der Besucher auf dem weitläufigen Gelände, auch People Mover genannt, fuhr von Anfang an im Europa-Park. Das war dem Gründer und Inhaber Roland Mack eine Herzensangelegenheit. Daher sollte es für die zerstörten Züge der Panoramabahn möglichst schnell einen Ersatz geben.
Könnte elektrische Antriebstechnik hier funktionieren?
Betriebsleiter Kasten zog bei der Neuanschaffung der Züge eine nachhaltige Variante in Betracht. „Schon seit längerem hatten wir überlegt, von den klassischen Energieträgern Diesel und Benzin auf Strom umzustellen“, erzählt der Betriebsleiter. „Motoren, die mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden, sind wartungsintensiv, problematisch bei der Ersatzteilbeschaffung, schlagen mit immer höheren Treibstoffkosten zu Buche und produzieren Abgase. Diese wiederum belästigen Lokführer und Fahrgäste.
Um das zu ändern, hatte der Europa-Parkt schon im Jahr 2017 gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Masterarbeit vergeben: Der Student Martin Böhme sollte in seiner Arbeit die Möglichkeiten einer Umrüstung auf elektrische Antriebstechnik untersuchen. Betreut wurde er dabei von Prof. Dr.-Ing. Eric Sax, der selbst ein großer Fan des Europa-Parks ist.
Die Suche nach einer nachhaltigen Energieversorgung
Aufgrund der guten Kundenbeziehung zum Europa-Park wurde auch SEW frühzeitig in dieses Vorhaben eingebunden und war bei der Konzeptentwicklung beratend tätig. Nach Abschluss der Masterarbeit wurden die Ergebnisse aus verschiedenen Gründen zunächst nicht weiterverfolgt und die Umrüstung für einen späteren Zeitpunkt geplant. Nach der Zerstörung der Züge durch den Brand war man durch diesen Weitblick bestens vorbereitet und der Zeitpunkt für eine Elektrifizierung war nie günstiger.
Für das neue Konzept sollte eine nachhaltige Energieversorgung genutzt werden. Regenerative elektrische Energie wird bereits auf dem Parkgelände erzeugt und bietet sich zur Eigenversorgung an. Der Originalhersteller der Panoramabahn aus den USA bot neue Züge mit einem Konzept basierend auf zwei Elektromotoren in Kombination mit Lithium-Ionen-Batterien und Ladung über Schleifleitung an. Das war den Verantwortlichen des Europa-Parks nicht innovativ und nachhaltig genug, kennt man sich mit Batterien und deren Pflege gerade in den geschlossenen Wintermonaten zu genüge aus. Aus waren die Kosten pro Zug mit 250.000 bis 300.000 Euro für einen solchen Ansatz nicht attraktiv. Sie suchten weiter nach einer Lösung, die sie schließlich mit der Energie-, Automatisierungs- und Antriebstechnik von SEW-Eurodrive fanden.
Erfolgreiche Zusammenarbeit im Projektteam
Seit knapp drei Jahren hatten die Bruchsaler Automatisierungsspezialisten bereits Reparatur- und Wartungsarbeiten an Fahrgeschäften im Park durchgeführt. Das betrifft nicht nur SEW-Antriebe, sondern auch Fremdmotoren. „SEW-Eurodrive hat uns schon mehrmals am Wochenende geholfen“, zeigt sich Steffen Kasten zufrieden. Für die Umrüstung der Panoramabahn wurde gemeinsam mit dem Europa-Park ein Projektteam mit jeweils abgegrenzten Zuständigkeiten gebildet.
SEW-Eurodrive war mit der Konzepterstellung in Bezug auf Antriebs- und Energiespeicherauswahl und zugehörige Ladetechnik sowie Sicherheits- und Kommunikationstechnik beauftragt. Des Weiteren stellten die Bruchsaler die wesentlichen Komponenten bereit, übernahm die Inbetriebnahme und die komplette Software. Der Europa-Park war für den Schaltschrankaufbau, die mechanische Installation aller Komponenten für die Infrastruktur und der Lok, sowie die Implementierung der dekorativen Elemente wie Dampf, Licht und Geräusche verantwortlich.
Dezentrale Ladetechnik und Energiespeichersystem
Ein Kernstück ist die neue dezentrale Generation des Energieübertragungssystems Movitrans, die keinen Schaltschrank mehr benötigt. Die Folgen sind – wie bei allen dezentralen Antriebslösungen – Platzeinsparungen und Kostenvorteile für Anlagenbauer und -betreiber. Bereits seit vielen Jahren setzen Kunden das Energieversorgungssystem Movitrans von SEW-Eurodrive erfolgreich ein. Es überträgt elektrische Energie von einer im Boden installierten Feldplatte oder einem Linienleiter induktiv und kontaktlos auf einen oder mehrere mobile Verbraucher.
Neu ist die dezentrale Einspeisung TES, die es mit Nennleistungen von 8 kW oder 16 kW und mit verschiedenen Resonanzfrequenzen gibt. Sie zeichnet sich durch eine extrem hohe Leistungsdichte aus und ist für das schnelle Laden der Movi-DPS Speicher in Verbindung mit der außenbereichstauglichen Feldplatte TFS30 konzipiert. Durch Parallelschaltung von mehreren 16-kW-Einspeisungen können bei Anlagen mit Linienleiterstruktur bis zu 32 kW oder auch 48 kW Einspeiseleistung realisiert werden.
Berührungsloses Laden in wenigen Minuten
Das Konzept für den Europa-Park umfasst das kontaktlose Aufladen der Züge in den vier Bahnhöfen des Parks. Diese wurden mit jeweils vier Feldplatten ausgestattet und ermöglichen so eine Ladung der Movi-DPS Doppelschichtkondensatorspeicher des Zugs mit bis zu 40 kW. Die Züge halten für die Dauer des Aus- und Einstiegs der Fahrgäste etwa 4 bis 5 min pro Bahnhof. In dieser Zeit werden innerhalb von 60 s rund 700 kWs „getankt“. Die aufgenommene Energie versorgt alle elektrischen Verbraucher auf dem Zug. Das sind neben den Fahrantrieben, der Kompressor für die pneumatischen Bremsen, die künstliche Dampferzeugung, die Soundanlage für Lokgeräusche und, im Winter, die Illumination.
Wartungsfreie Doppelschichtkondensatoren
„Die Energiemenge reicht problemlos bis zum Aufladen im nächsten Bahnhof“, erläutert Dominik Gläßer, Außendienstmitarbeiter bei SEW-Eurodrive und zuständig für die Durchführung dieses Projekts im Europa-Park. Die Doppelschichtkondensatoren haben eine maximale Speicherspannung von 800 V und somit eine nutzbare Speicherenergie von ca. 2.000 kWs, die mit über 1 Mio. Vollladezyklen wartungsfrei zum Einsatz kommen.
Diese Eigenschaften sprechen für den Speicher, welcher sich somit gegen den Einsatz von Batterien durchgesetzt hat: Er ist bestens geeignet für die im Europa-Park vorherrschenden klimatischen Bedingungen und optimal nutzbar in Kombination mit der zyklischen „Betankung“ durch Movitrans.
Maßgeschneiderte, energieeffiziente Antriebstechnik
Für den passenden Antrieb sorgen vier Antriebseinheiten Movigear MGFTT4-DSM, die jedoch aus Optik- und Platzgründen in den Drehgestellen der Lok keine aufgesetzte dezentrale Elektronik besitzen, sondern über Schaltschrankdoppelachsen Movidrive modular geberlos geregelt werden. Durch seine kompakte Bauweise, bedingt durch den verbauten Synchronmotor, sind diese Antriebseinheiten maßgeschneidert für einen energieeffizienten Betrieb. Zusätzlich sind sie extrem wartungsarm und durch ihre hohe Schutzart, in Kombination mit der Oberflächenbeschichtung HP 200 prädestiniert für den rauen Einsatz im Freien.
Nur durch das Zusammenspiel zwischen den Antriebseinheiten und der Automatisierungsplattform Movi-C lassen sich Movitrans und Energiespeicher in das Gesamtsystem einbinden. So ergibt sich eine für diesen Anwendungszweck optimale technische Lösung.
Fazit: Die Energieeffizienz ist wesentlich besser als beim Dieselmotor und auch die Bremsenergie kann mittels Rekuperation in den Speicher genutzt werden.
Im Europa-Park hat Sicherheit immer Priorität
Die Züge queren den Park an diversen Bahnübergängen, die auch von Besuchern passiert werden können. Deren Sicherheit hat absolute Priorität. Bedingt durch die gewählten Antriebe beträgt die Höchstgeschwindigkeit der Züge 8 km/h. Als weitere Sicherheitselemente dienen ein sogenannter Totmannschalter, der alle 25 s vom Lokführer per Fuß betätigt werden muss sowie ein Sitzkontaktschalter, der ein Losfahren ohne Fahrer verhindert. Sollte eine dieser Sicherheitsfunktionen auslösen oder der Lokführer den Notausschalter betätigen, wird ein Safe Torque Off (STO) eingeleitet und der Zug kommt innerhalb von 5 m zum Stehen. Das Aussteigen der Fahrgäste während der Fahrt wird durch das magnetische Verriegeln der Türen verhindert. Vor Aktivierung der Türmagnete ist eine Abfahrt nicht möglich.
Hohe Anforderungen vom TÜV Süd
Der TÜV Süd verlangte eine Risikoanalyse für den Einsatz von Movitrans in den Bahnhöfen und somit im öffentlichen Raum. Die Organisation kam im Europa-Park nicht zum ersten Mal mit induktiver Energieübertragung Movitrans in Berührung, hatten die Bruchsaler doch bereits mit dem Thema „Induktives Laden in der Elektromobilität“ gemeinsam Maßstäbe in der Normenlandschaft gesetzt. Der TÜV Süd stellte somit hohe Anforderungen an eine sichere Abschaltung, sobald sich kein Zug zum Laden auf den Feldplatten befindet.
Für die sichere zweikanalige Abschaltung des Systems kommt eine Sicherheitssteuerung UCS10B zum Einsatz, die die Movitrans Einspeiseeinheiten deaktiviert. Ferner wurden die elektromagnetischen Felder im Ladebetrieb um den Zug vermessen und erfüllen die erforderlichen Grenzwerte.
Schrittweiser Umbau im laufenden Betrieb
Seit Beginn der Wintersaison im November 2019 ist die erste Panoramabahn mit SEW-Technik in Betrieb und erfüllt alle gestellten Erwartungen. Aus diesem Grund wurde im Februar 2020 zeitnah mit der Elektrifizierung der zweiten Panoramabahn begonnen, welche im Mai 2020 fertiggestellt wurde. Ab November 2020 wurden zwei weitere Züge auf einen grünen Betrieb umgebaut. Ein zusätzlicher Reservezug ist seit Frühjahr 2021 einsatzbereit.
Auch für die Lokführer stellt die neue Antriebslösung eine große Verbesserung dar. Die Arbeitsplatzergonomie wurde verbessert. Außerdem gibt es keine Geruchsbelästigung durch Abgase mehr. Die verbliebenen Dieselzüge fahren während der Umbauphase bis zur vollständigen Umstellung regulär weiter.
Konfiguration der E-Züge noch auf der Baustelle
Die Abteilung Betriebstechnik des Europa-Parks installierte die Mechanik, die Getriebe sowie die Schaltschränke in den Bahnhöfen. Getreu dem Motto „Geht nicht, gibt’s nicht!“ passten die Inbetriebnehmer von SEW-Eurodrive die Konfiguration der Produkte noch auf der Baustelle nach Wunsch des Kunden und des TÜV an.
Das inhabergeführte Familienunternehmen SEW-Eurodrive liefert Motoren, Getriebe und Steuerungen für die Panoramabahn. Bertwin Ley, SEW-Kundenbetreuer für den Europa-Park: „Gleich mehrere Abteilungen arbeiten an der nachhaltigen Neuausrichtung der Bahn mit“.
Ein Referenzprojekt für die ganze Welt
Weil viele der benötigten Teile ganz neu entwickelt wurden, fließen die Erkenntnisse auch in laufende Produktinnovationen ein, z. B. bei der Speichertechnologie oder bei einem neuartigen mechatronischen Antriebssystem. „Es geht bei der Panoramabahn insbesondere darum, diverse Neuentwicklungen und bestehende Produkte in einer Anlage miteinander zu kombinieren“, erläutert Dr. Hans Krattenmacher, Geschäftsführer Innovation Mechatronik bei SEW-Eurodrive. „Daher ist die Zusammenarbeit mit dem Europa-Park für uns ein Referenzprojekt mit großem Potenzial weltweit.“
Für seinen modernisierten People Mover will sich der Europa-Park sogar um den internationalen „Golden Ticket Award“ bewerben.
SEW-Technik für weitere Attraktionen geplant
„Der Europa-Park hat insgesamt 65 Fahrgeschäfte – mit einer Verfügbarkeit von 99,7 %“, berichtet Steffen Kasten, Betriebsleiter Betriebstechnik, nicht ohne Stolz. Er ergänzt „Das schafft man nur mit starken Partnern und großen Lagerbeständen.“
Die Zufriedenheit des Kunden spiegelt sich auch in weiteren geplanten Projekten wider. So soll beispielsweise am Liftantrieb der Achterbahn „Silverstar“ ein Serviceeinsatz stattfinden. Auch für die „Monza-Piste“ ist Antriebstechnik von SEW-Eurodrive vorgesehen. Die Schwesterfirma Mack Rides stellt Fahrgeschäfte auch für andere Freizeitparks her. Auch sie hat bereits Interesse an der dezentralen SEW-Technologie geäußert.
Andrea Balser