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Additive Fertigung oder Zerspanung?

Auf welche Technologien müssen Konstrukteure sich einstellen? Erich Timons, CTO des Werkzeugherstellers Iscar Germany, reflektiert über die jeweiligen Vorteile und den sich daraus ergebenden Einsatz.

Durch den 3D-Druck wurde die Produktentwicklung schneller und wirtschaftlicher. Mancher sah die Additive Fertigung (AM) bereits die CNC-Bearbeitung errsetzen. Ob das eine realistische Vorstellung ist, darüber hat sich Erich Timons, CTO des Werkzeugherstellers Iscar Germany Gedanken gemacht. Er ist sich sicher, dass der 3D-Druck die CNC-Bearbeitung für die Herstellung von Metallbauteilen nicht vollständig ersetzen wird. „Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die Additive Fertigung erhebliche Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Produktionsverfahren haben wird“, so Timons. Eine solche Auswirkung betrifft die Smart Factory. Moderne Fertigung bedeutet eine umfangreiche, bisweilen durchgängige Digitalisierung. Unter den Fertigungsfahren ist der 3D-Druck die digitalste Alternative.

Isotrop in der CNC-Bearbeitung, anisotrop im 3D-Druck

Sowohl die CNC-Bearbeitung als auch die Additive Fertigung erzeugen die Geometrie eines Bauteils, indem sie den zu bearbeitenden Werkstoff Schicht für Schicht formen – die einen ab-, die anderen auftragend. Aber während in der CNC-Bearbeitung Metalle die wichtigsten Werkstoffe sind, dominieren im 3D-Druck nach wie vor Kunststoffe. „Gleichzeitig haben die Fortschritte in der Pulvermetallurgie den Druck von Teilen aus schwer zu bearbeitenden Materialien wie Superlegierungen auf Nickelbasis ermöglicht. Dies eröffnet neue Perspektiven für die Additive Fertigung“, sagt Timons. Auch Titan gehört zu den druckbaren Materialien.

Ein wichtiger Punkt für Konstrukteure ist die Physik: Metalle sind isotrop. Das heißt, sie weisen in allen Richtungen die gleichen physikalischen Eigenschaften auf. Im Gegensatz dazu sind 3D-gedruckte Produkte anisotrop, ihre Festigkeit kann beispielsweise in horizontaler Richtung höher sein als in vertikaler.

Das Strukturverhalten, die Steifigkeit und die Zuverlässigkeit von Bauteilen aus isotropen Metallen lässt sich präzise berechnen. Bei 3D-gedruckten Teilen ist es hingegen schwieriger, genaue Vorhersagen zu treffen. Nicht zuletzt deswegen schreitet die Einführung von AM bei der Herstellung von Schlüsselelementen aus Metall eher langsam voran. Somit ist die CNC-Bearbeitung immer noch das vorherrschende Verfahren bei der Produktion kritischer Bauteile.

Flexibilität und Wirtschaftlichkeit

Die CNC-Bearbeitung ist vor allem dadurch eingeschränkt, dass der Zugang eines Schneidwerkzeugs zur zu bearbeitenden Oberfläche begrenzt ist. Anders der 3D-Druck: Dieser ist flexibler und für komplexe Formen geeignet. Während durch Zerspanung Bauteile mit großen Abmessungen möglich sind, müssen additive Fertiger sich entscheiden. Im Auftragschweißen (DED oder WAAM) sind große Bauteile ein geringeres Problem. Aber die Bauräume der LPBF-Maschinen (Laser Powderbed Fusion, auch SLM) sind verhältnismäßig klein. Hier bietet es sich an, das Teil in mehrere Komponenten aufzuteilen und diese anschließend zu fügen. „Dieses Verfahren verlängert die Produktionszeit jedoch erheblich und wirft zudem die Frage nach der geforderten Festigkeit und Steifigkeit auf“, gibt Timons zu bedenken.

3D-Drucker erzielen aktuell eine Maßgenauigkeit von 0,1 mm, auf die jedoch die Nachberabeitung Einfluss nimmt. Die CNC-Bearbeitung ist mit 0,05 bis 0,005 mm präziser. Zerspanende Verfahren arbeiten zudem wiederholgenauer und erzeugen höhere Oberflächengüten.

Zu beachten sind auch die Themen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Ein 3D-Drucker ist deutlich günstiger als eine moderne CNC-Maschine und benötigt weitere Peripheriegeräte sowie erfahrene Mitarbeitert in Konstruktion und Bedienung. Bei der CNC-Bearbeitung fallen allerdings Späne an, die recycelt werden müssen. Bei einem teueren Werkstoff ist das ein finanzieller Verlust, der bei der Additiven Fertigung wesentlich geringer ist. Denn hier fällt kaum Abfall an, über 90 % des Materials wird verarbeitet und der Energieaufwand ist geringer. Zudem bieten 3D-Drucker Flexibilät in der Herstellung. Steter Wechsel von Geometrien oder in einem Durchgang unterschiedliche Bauteile zu fertigen sind kein Problem.

Der Endform sehr nahe

In der Additiven Fertigung entstehen präzise Werkstücke, die der gewünschten Endform sehr nahekommen. Die Herstellung komplexer Bauteile erfordert eine CNC-Bearbeitung mit minimalem Werkstoffabtrag sowie hoher Präzision und Oberflächenqualität. „3D-Druck ermöglicht schnelle und präzise Prototyping-Ergebnisse und verkürzt so wertvolle Produktionszeit, um die optimale Lösung zu erzielen“, sagt Timons. „3D-Druck-Verfahren sind aber kein Ersatz für die CNC-Bearbeitung, vielmehr ergänzen sie die Bearbeitungsprozesse.“ Es gibt Maschinen, die in einer Anlage eine präzise mehrachsige Zerspanung mit 3D-Druck kombinieren.

 Der Einsatz von Additiver Fertigung für die Herstellung von Bauteilen wirkt sich insbesondere auf Fräswerkzeuge aus, die komplexe Teile formen und steigende Anforderungen an Effizienz und Präzision erfüllen müssen. Um optimale Zeitspanvolumen bei geringen Aufmaßen umzusetzen, wird in der Praxis oft mit Hochgeschwindigkeits-Bearbeitungen (HSM) mit hohen Vorschüben und Drehzahlen gearbeitet. Dies erfordert präzise Schneidwerkzeuge, die eine prozesssichere Zerspanung mit möglichst wenig Bearbeitungsdurchgängen und sehr guter Oberflächenqualität erlauben.

3D-Druck mit Vorteilen in der Werkzeug-Konstruktion

Ein Beispiel für die Synergie von 3D-Druck und CNC-Bearbeitung zeigt sich bei der Herstellung komplizierter Konfigurationen spezieller Wendeschneidplatten-Werkzeuge. Darüber hinaus bietet der 3D-Druck Vorteile in der Werkzeugkonstruktion: Er optimiert die Konstruktion eines Fräsers, insbesondere bei Gestaltung und Herstellung von Innenflächen und Kühlmittel-Kanälen für die zielgerichtete Kühlung direkt an jeder Schneidkante.

Die F&E-Ingenieure von Iscar sehen im 3D-Druck ein geeignetes Verfahren, um die optimale und nachhaltige Lösung für spezielle und neu entwickelte Produkte zu finden. Einen großen Schritt nach vorn macht der 3D-Druck von Wendeschneidplatten. Die additive Herstellung von Prototypen kommt damit ohne teure Matritzensätze aus und ermöglicht die zuverlässige Prüfung verschiedener Designvarianten der Platten. Dieses Verfahren verkürzt die Entwicklungszeit deutlich, senkt die Produktionskosten und minimiert Abfall. „Die Symbiose dieser beiden Technologien wird ein charakteristisches Merkmal der Metallbearbeitung der nahen Zukunft sein“, fasst Timons zusammen.

Foto: Iscar Ein gutes Beispiel für die Synergie zwischen 3D-Druck und CNC-Bearbeitung ist die komplexe Konfiguration spezieller Werkzeuge mit Wendeschneidplatten.