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Produktionsverfahren

Forgtin: (3D-) Druck gegen Tinnitus

Mit (3D-) Druck gegen Tinnitus – Medizinprodukt Forgtin gelangt durch Unterstützung von Protolabs in kürzester Zeit zur Marktreife.

Chronischer Tinnitus ist für Betroffene oft eine nie endende Qual – der österreichische Tüftler Klaus Grübl hat nun mit Forgtin ein Medizinprodukt entwickelt, das Patientinnen und Patienten mittels (3D-) Druck Abhilfe verschaffen kann. Unterstützung erhielt er dabei vom 3D-Druckspezialisten Protolabs.

Pfeifen, Rauschen oder Zischen – 24 Stunden am Tag, an 7 Tagen in der Woche. Was sich für viele Menschen nach einem schlimmen Scherz anhört, ist für Betroffene des Tinnitus aurium bittere Realität. 15 % der Bevölkerung sind mindestens einmal in ihrem Leben von Phantomgeräuschen betroffen und für viele Leidtragende wird der chronische Tinnitus zu einem ständigen Begleiter im Alltag. Die Folgen können je nach genauem Krankheitsbild variieren, allerdings mündet die nicht therapierbare Krankheit oft in Schlafstörungen, Arbeitsunfähigkeit und Depressionen.

So widersprüchlich es sich in Anbetracht des Krankheitsbildes aber auch anhört, ist Tinnitus allerdings – ungeachtet der vielfältigen Ursachen, die zu den Phantomgeräuschen führen können – in der Regel eine erlernte Krankheit. Der subjektive Tinnitus, also die Ausprägung, bei der keine körperlichen Schallquellen zum Störgeräusch führen, ist eine Beschwerde, die in der Regel im auditorischen Kortex im Gehirn entsteht. Durch ein auslösendes Ereignis, beispielsweise ein Knalltrauma oder einen Hörsturz, können bis dahin gesunde synaptische Verknüpfungen ihren eigentlichen Zweck verlieren und durch abnormale Aktivität zu Tinnitus führen. Das daraus entstehende neuronale Dauerfeuer verfestigt sich bei manchen Menschen und der chronische Tinnitus wird zum selbst erlernten unbequemen Schatten.

Von Selbsthilfe zur Fremdhilfe – mit (3D-) Druck gegen Tinnitus

Auch Klaus Grübl war lange Zeit von chronischem Tinnitus betroffen. Der Unternehmer, der eigentlich aus dem Bereich der Erwachsenenbildung kommt, litt seit 19 Jahren an dem konstanten Pfeifton, der nicht verschwinden wollte. In einem ruhigen Augenblick, in dem der Tinnitus durch die fehlende Umgebungslautstärke besonders stark in den Fokus des Betroffenen rücken kann, begann er damit konstant und für mehrere Minuten Druck auf eine bestimmte Stelle am Ohr auszuüben. Nach geraumer Zeit wurde der Ton für ihn merklich leiser. Von diesem ersten Erfolg motiviert, begann Grübl am nächsten Tag damit seine Vermutung, dass ein Zusammenhang zwischen dem ausgeübten Druck und der Besserung der Beschwerden liegen könnte, weiter zu verfolgen. Kurze Zeit später integrierte er einen ersten Prototyp, der an seiner Brille befestigt war und an drei Punkten am Ohr Druck ausübte, in seinen Alltag – und der Tinnitus verschwand schließlich völlig.

Die Begründung für den plötzlichen Erfolg mit dieser Therapieform, erklärt sich Grübl mit der Ursache, die für die Beschwerden in erster Linie verantwortlich ist. Durch den Druck, der auf die verschiedenen Punkte am Ohr ausgeübt wird, wird im auditiven Kortex die entsprechende Region stimuliert, die auch für den chronischen Tinnitus verantwortlich ist. Die synaptischen Verknüpfungen, die das unangenehme Geräusch verursachen, werden weniger beansprucht, das Gehirn verlernt langsam die eigentliche Ursache für den Pfeifton.

Von diesem ersten Erfolg motiviert, gründete Klaus Grübl die Pansatori GmbH, die das neue Produkt Forgtin– kurz für Forget Tinnitus – weiterentwickeln, produzieren und schlussendlich vertreiben sollte. Seitdem ist über ein Jahr vergangen und es wurde bereits eine nichtklinische Studie durchgeführt; eine medizinische Studie soll folgen und Forgtinsteht mittlerweile kurz vor der Markteinführung.

Grübl ist von dem Potential seiner Erfindung überzeugt: „In unserer ersten Studie mit 20 Patientinnen und Patienten verringerte sich bei den Teilnehmern der subjektiv wahrgenommene Tinnitus um 30 bis 100 %. Auf diesen Ergebnissen aufbauend ist nun auch eine klinische Studie geplant, die die Wirkungsweise von Forgtin weiter untersuchen soll. Währenddessen stehen wir vor der Markteinführung unseres Produkts und ich freue mich darauf, dass wir ersten Patienten bereits ab diesem Herbst helfen können."

Allianz gegen Tinnitus

Von der ersten Idee zum fertigen Produkt floss noch viel Ingenieurs- und Designkunst in Forgtin. Während die ersten Prototypen, die Grübl und sein Designer und Konstrukteur noch mittels heimischer 3D-Drucker fertigten, aus Kunststoff und unflexibel waren, begann man bei der Pansatori GmbH bald auch mit professionellen 3D-Druckdienstleistern zusammenzuarbeiten. In diesem Rahmen wurde der Kontakt zum Fertigungsdienstleister Protolabs hergestellt, einem Unternehmen, das unter anderem auf additive Fertigung und die Herstellung von Prototypen im Medizinbereich spezialisiert ist. „Für uns war bereits früh klar, dass kein Weg am 3D-Druck vorbeiführt. Forgtinbesteht aus komplexen Geometrien und muss schlussendlich auch soweit individualisier- und anpassbar sein, dass auch jeder Betroffene das Gerät nutzen kann“, erklärt Grübl. „Gemeinsam mit meinem Designer bin ich dann im Juli 2020 zum ersten Mal auf Protolabs gestoßen. Nach einer ersten Kontaktaufnahme Mitte Juli ging die Arbeit direkt richtig los.“

Insgesamt besteht Forgtinaus mehreren Einzelteilen, die Grübl gemeinsam mit seinem Entwickler konstruierte. Hinter der äußeren Ohrmuschel liegt der obere Bügel an, der Forgtinähnlich wie einem Brillenbügel Halt verleiht und einen der Druckpunkte abdeckt. Über einen Splint ist der obere Bügel mit dem unteren verbunden, der hinter dem Ohrläppchen vorbei bis zum Tragus vor dem äußeren Gehörgang führt. Hier und hinter der Ohrmuschel finden sich auch die beiden zusätzlichen Druckpunkte, mit denen die Bekämpfung des Tinnitus durch konstanten Druck erreicht wird. Silikonelemente, die für den Tragekomfort unerlässlich sind, runden Forgtinschließlich ab. „Direkt nachdem wir die Konstruktionsdaten auf der Webseite von Protolabs in die automatisierte Machbarkeitsanalyse hochgeladen hatten, bekamen wir schon erste Verbesserungsvorschläge“, resümiert Grübl. „Nach unserem ersten Gespräch wussten wir bereits, dass wir bei Protolabs gut aufgehoben waren, aber dieser Schritt hat die Serienproduktion endgültig eingeleitet.“

Mit additiver Fertigung zur Marktreife

Zusammen mit Protolabs entschied man sich bei Pansatori, dass der untere Bügel, der einfacher hergestellt werden kann, aus Edelstahlblechen mit Lasern herausgeschnitten werden sollte. Beim oberen Bügel griff man aufgrund der komplexen Geometrie die für die gewünschte Funktionalität nötig ist, hingegen auf die additive Fertigung zurück. „Bereits nach wenigen Verbesserungsschleifen, bei denen uns die Experten von Protolabs zur Seite standen, konnten wir den Designvorgang endgültig abschließen und uns um die notwendige Nachbearbeitung und die Silikonelemente kümmern“, berichtet Klaus Grübl. Beim Material entschied man sich für die Legierung Edelstahl 316L, die auch in anderen medizinischen Geräten Anwendung findet und mittels direktem Metall-Lasersintern in Form geschmolzen wird. Nachdem die Einzelteile durch Gleitschleifen nachbearbeitet werden, damit sie weniger rau und somit angenehmer zu tragen sind, wird die Oberfläche der Metallstücke noch passiviert. Durch diese Veredelung wird ausgeschlossen, dass die Legierung Nickel abgibt, das bei manchen Menschen Allergien auslöst.

Vor der Endmontage werden mittels Spritzguss auf die Einzelteile noch die Silikonelemente, die den Hautkontakt zusätzlich verbessern, per Spritzgussverfahren auf das Werkstück aufgegossen. „Durch diese umfangreiche Zusammenarbeit konnten wir bereits acht Wochen nach dem ersten Gespräch mit Protolabs in die mittlerweile angelaufene Produktion gehen“, erklärt Grübl. „Dass die Teile den hohen Standards von Medizinprodukten entsprechen, ist dabei genauso vorteilhaft, wie die Tatsache, dass auch die Montage bereits bei Protolabs erfolgen kann.“

Ein großer Vorteil bei der Zusammenarbeit stellt für Klaus Grübl auch die Zertifizierung für die Herstellung von Medizinprodukten dar, über die Protolabs verfügt. „Wir sind nach ISO 13485:2016 zertifiziert und produzieren auch chirurgische Implantate und diverse andere Produkte, die in der Medizin Anwendung finden“, erklärt Christoph Erhardt, Director Additive Manufacturing bei Protolabs. „Dementsprechend haben wir bei der Weiterentwicklung von Forgtinauch wichtige Impulse und Hilfestellungen gegeben und konnten so schnell zur Marktreife gelangen.“

Auch für Klaus Grübl war die Zusammenarbeit ein großer Gewinn: „Von der menschlichen Seite hat alles vom ersten Gespräch bis zum heutigen Tag wirklich hervorragend gepasst. Protolabs hat genau verstanden, wohin wir wollen und wie wir uns den Weg bis zum fertigen Produkt vorstellen. Die Kooperation mit den äußerst kompetenten, hilfreichen und netten Mitarbeiten war eine wahre Freude und hat uns wirklich weitergebracht!“

Der Klang der Stille

Die Markteinführung von Forgtinist aktuell für den späten Herbst dieses Jahres geplant und wird voraussichtlich vielen Menschen dabei helfen ihren Dauerbegleiter Tinnitus erheblich ruhiger zu stellen. Um diesen wichtigen Schritt gehen zu können, musste Grübl für Forgtinneben einem geeigneten Partner für die Produktion auch einen Weg finden, alle Anforderungen zu erfüllen, damit der kleine Alltagshelfer als Medizinprodukt der Klasse 1 anerkannt wird und somit eine CE-Zertifizierung erhält. „Die gesetzlichen Maßgaben für Medizinprodukte haben wir mittlerweile erfüllt und seit Mitte August sind wir offiziell zugelassen“, freut sich Klaus Grübl.

Die Arbeit hört für den kreativen Tüftler an dieser Stelle aber noch lange nicht auf. Im Moment gestaltet er eine Version des ForgTin, die auch nachts getragen werden kann, ohne beim Schlafen zu stören. Denn das Ziel steht schon seit Beginn des Projekts fest: Patientinnen und Patienten soll es wieder ermöglicht werden, den Klang der Stille zu genießen.

Der österreichische Tüftler Klaus Grübl hat nun mit Forgtin ein Medizinprodukt entwickelt, das Patientinnen und Patienten mittels (3D-) Druck Abhilfe verschaffen kann.
Foto: Protolabs Zusammen mit Protolabs entschied man sich bei Pansatori, dass der untere Bügel aus Edelstahlblechen mit Lasern herausgeschnitten werden sollte. Beim oberen Bügel griff man aufgrund der komplexen Geometrie hingegen auf die additive Fertigung zurück.
Foto: Protolabs Anwendung am Ohr