Foto: Ambitious

Werkstoffe

Neukonstruktion eines Umformteils für 3D-Druck

Manche Komponenten sind per 3D-Druck schneller, einfacher und günstiger als mit konventioneller Fertigung. Hier ersetzt die Additive Fertigung Kaltumformen und Hartlöten.

Gerhard Rempfer ist selbstständig, seit 49 Jahren Nähmaschinen-Mechanikermeister und Nähtechniker. In dieser Zeit hat sich sehr viel an den Maschinen verändert. Doch eines ist geblieben: die langwierige und aufwändige Fertigung von Einfassern. Deren Herstellung erfolgt bislang durch Kaltumformung, Hartlöten sowie spanende Nachbearbeitung. Hierbei kann es zu Qualitätsschwankungen sowie langen Lieferzeiten kommen. Die Einfasser sind schwer, benötigen viel Material und bestehen aus mehreren Komponenten. Rempfer wollte dem entgegenwirken und die Einfasser additiv fertigen. Mit dieser Idee wandte er sich an die Toolcraft-Tochter Ambitious.

Ziel: Die Herstellung vereinfachen und beschleunigen. Herausforderungen: Eine spezifische Anforderung ist die Strecke, die das Band für einen Umschlag benötigt. Dabei muss zusätzlich auf die notwendige Oberflächengüte für verschiedene Bandmaterialien, die sich in Dicke und Oberflächenbeschaffenheit unterscheiden, geachtet werden. Zudem gibt es aufgrund von verschiedenen Maschinenherstellern und -typen unterschiedliche Gegebenheiten an den Nähmaschinen. Auch eine schnelle Lieferung der Bauteile ist von Nöten, um eine reibungslose Produktion zu gewährleisten.  

Neukonstruktion für 3D-Druck und Postprocessing

Gemeinsam wurden die bisherigen Teile gesichtet und neu konstruiert. Die Bandeinfasser von Grund auf neu zu konstruieren war notwendig, um ihr Design auf die Additive Fertigung sowie das Postprocessing anzupassen. Die Neukonstruktion erfolgte als Freiflächenmodellierung mit parametrischen Freiflächen in Siemens NX. Die Software bietet eine Datendurchgängigkeit von der Konstruktion über die Simulation bis zur Fertigung. So wird bei Größenveränderungen des Bauteils einfach per Knopfdruck der Baujob mit angepasst. Ohne Schnittstellen gibt es keine Datenverluste und es entsteht kein Mehraufwand bei der Baujoberstellung. Bis heute wurden auf diese Weise ca. 30 verschiedene Bauteile konstruiert, gedruckt und eingesetzt.

Die konventionell gefertigten Einfasser bestanden aus eher primitiven Formen, die aneinander gelötet wurden. Als Material diente Edelstahlblech. Im LPBF-Verfahren (laser powderbed fusion, auch SLM) werden die Einfasser nun aus Titan hergestellt. Außerdem wurden Baugruppen zusammengeführt, Funktionen integriert und geringere Wandstärken sowie bessere Standzeiten der Bauteile bei weniger Gewicht erreicht.

Die Bandeinfasser werden in der Maschine bewegt. Da sie nun weniger wiegen ist die Belastung auf das Bauteil und somit der Verschleiß geringer. Zudem wurden die Kupferrohe ersetzt, die per Druckluft das Band einschießen und händisch eingestellt werden. Die Luftrohre sind nun in das Bauteil integriert. Dies führt zu einer verbesserten Leistung, da die Auslässe jetzt an einer Stelle sind, die vorher nicht möglich war. So kommt die Druckluft genau dort an, wo sie benötigt wird.

  • Supportstrukturen vermeiden und die Entpulverung einplanen
  • Materialansammlungen vermeiden
  • für einen gleichbleibenden Bauteilquerschnitt sorgen, um Schrumpfungslinien zu vermeiden
  • Verzug im Vorfeld per Simulation optimieren
  • die Weiterbearbeitung der Bauteile berücksichtigen, also die Besonderheiten der nötigen Postprocessing-Schritte im Design einplanen
  • Für die Nachbearbeitung der Bandeinfasser bedarf es einer Befestigungsmöglichkeit für die chemische Behandlung aller Bauteiloberflächen, um ihre Oberflächengüte zu verbessern. Daher muss ausreichend Aufmaß vergeben werden. Die Schwierigkeit liegt dabei in den innenliegenden Kanälen, da die Säure hier nicht so viel Material abträgt wie auf den Außenflächen. Der ganze Prozess wurde durch Prototypen getestet und optimiert, um die Leichtführigkeit des Bandes zu gewährleisten.

    Unterstützung auch beim Vertrieb

    Ambitious bringt die Erfahrung in der Additiven Fertigung mit sowie Werkstoffkenntnisse und die Möglichkeiten der spanenden Weiterbearbeitung bei Toolcraft. In enger Zusammenarbeit mit Rempfer wurde das Bauteil neu entwickelt. Es hat eine höhere Standzeit, weniger Gewicht sowie eine gleichbleibende Qualität. Die Baugruppen und das Handling des gesamten Bauteils wurden vereinfacht. Durch die parametrische Konstruktion können ähnliche Teile abgeleitet werden.

    Ambitious hat sowohl in Sachen Material als auch bei der Weiterbearbeitung beraten und unterstützt  Rempfer beim Vertrieb, der Kommunikation mit den Maschinenherstellern sowie bei der Entwicklung eines „Norm-Werkstücks“. Am Ende ist die additive Herstellung der Einfasser schneller, einfacher und kostengünstiger als die konventionelle Fertigung. Und da es immer weniger Fachkräfte gibt, die die Einfasser konventionell herstellen können, unterstützt die Additive Fertigung die Zukunft der Nähmaschinenindustrie.

    Foto: Ambitious Die konventionell gefertigten Bauteile aus Edelstahlblech wurden in mehreren Teilen produziert und aneinander gelötet.
    Foto: Ambitious Die additiv gefertigten Bandeinfasser sind aus Titan und in einem Stück hergestellt.
    Foto: Ambitious Zu den Herausforderungen gehören verschiedenen Materialien des Bands, unterschiedliche Dicken und die Strecke, die das Band für einen Umschlag benötigt.