„Er zeigte uns, wie man doppelt so viele Teile in der gleichen Zeit produziert“, schrieb Karsten Heuser vergangenes Jahr in einem Linkedin-Post. „Er“ ist Philipp Durst und war damals Werkstudent am Additive Manufacturing Experience Center (AMEC) von Siemens in Erlangen. Für seine Masterarbeit hatte Durst per Sensorik, Sinumerik-Steuerung und dem digitalen Tool „Analyze MyToolpath“ gezeigt, wie beim Granulat-3D-Druck die Maschine autonom immer mit der höchstmöglichen Geschwindigkeit bei gleichzeitig höchster Qualität Bauteile fertigt.
Siemens hat diesen Ansatz weiterverfolgt – auch für Metall, etwa beim Auftragschweißen (DED, direct energy deposition). Hier ist es für die Prozessqualität wichtig, das Schmelzbad und den Pulverfluss stetig zu überprüfen. Beim Schmelzbad wird speziell auf die Temperatur des flüssigen Metalls und die Geometrie der Schmelzstelle geachtet. „Das Schmelzbad wird von einem Sensor per Infrarot und mit einer CMOS-Kamera überwacht“, beschreibt Sebastian Hartmann, Doktorand im Bereich Digitalisierung der Additiven Fertigung und bei Siemens an dem Projekt beteiligt. Die Hardware, also die Sensorik und die Kamera, befinden sich im Bauraum, direkt an der Düse. Nur so können Schmelzbad und Pulverfluss präzise überwacht werden. Die Hardware muss dafür natürlich entsprechend ausgestattet sein. Aber das ist unproblematisch, passende Komponenten werden bereits in anderen Fertigungsverfahren eingesetzt.
„Die Herausforderung besteht darin, die Datenströme von den Sensoren und dem Drucker zusammenzubringen und aufeinander abzustimmen“, sagt Hartmann. Das passiert in einem Edge IPC von Siemens. Als Edge-Ausführung sitzt der IPC direkt am Bauraum. Er funktioniert als Taktgeber und weiß genau, wann welche Daten gemessen wurden. „So kann er vergleichen, welche Maschinenparameter und welcher Zustand des Materials und Materialauftrags in Verbindung miteinander stehen, wie das eine das andere bedingt“, erklärt Markus Obermeier, Senior Business Development Manager AM bei Siemens.
Teachen und Analyse ist derzeit noch ein Aufwand
Derzeit muss das System noch physisch angelernt werden. Dazu wird mit einem realen Druckjob und einem Prototyp über destruktive und nicht-destruktive Analysetechniken, wie Röntgenaufnahmen, der Sollzustand bestimmt. Die Fragen „Ist der Fertigungsprozess gut oder schlecht verlaufen? Sind Fehler im Bauteil und wenn ja, welche Prozessparameter müssen wir nachjustieren?“ werden hier beantwortet.
Nachdem die Messungen abgeglichen sind, greift das System aktiv in den Build-Prozess ein. Derzeit ist dafür eine FEM-Analyse notwendig. „Das dauert ewig“, kommentiert Obermeier. „Sobald wir hier mit KI arbeiten können, wird es schneller gehen – in Echtzeit“, fügt er hinzu. An der KI arbeiten sie bereits: „Mit dem bisher gesammelten Wissen trainieren wir neuronale Netze, die dann künftig Anomalien in den Sensordaten erkennen und sofort die Parameter regulieren“, so Obermeier.
In dem Siemens-Aufbau wird nur das Schmelzbad betrachtet; aber es sind viele Faktoren, die während und nach dem Baujob auf ein Bauteil einwirken. Faktoren, durch die der Prozess instabil wird. Weitere Prozessparameter, die in Industrie und Forschung berücksichtigt werden sollten, sind: der Pulverfluss, der Abstand von Schmelzbad zu Druckkopf sowie die Parameter des Bauraums (wie 02-Gehalt, Feuchtigkeit oder Temperatur des Bauraums).
Bei MEX-Druckern präziser Wärme einsetzen
Neben DED arbeitet Siemens an dem Qualitätssicherungssystem für die Materialextrusion weiter. Getestet wird bei Siemens mit einem Multiachs-Granulat-Drucker. Bei diesem Verfahren geht es auch darum, die Temperatur lokal zu regeln, die zwischen den einzelnen Schichten herrscht. Damit nur dort die Wärme ankommt, wo sie auch gebraucht wird. Besonders bei Großraumdruckern wirkt sich das auf die Energiekosten und damit den CO₂-Ausstoß aus.
Die Temperatur wird über die Bahngeschwindigkeit geregelt: Je schneller aufgetragen wird, desto mehr Materialeintrag kommt aus der Düse und umso wärmer ist die gedruckte Kunststoffschicht. Probleme dabei sind noch, dass „beim Override die Schritte recht grob sind und wenn ich eine andere Geschwindigkeit wähle, beeinflusst das die Qualität“, so Obermeier. Override bzw. Vorschub-Override bedeutet, dass die im CAM programmierte Geschwindigkeit von der aktuellen Geschwindigkeitseinstellung überschrieben wird. Der Anwender hat also über die Maschinensteuertafel oder von der PLC aus eine andere Geschwindigkeit eingestellt.
Veränderungen von 0 bis 200 % sind möglich. „Bei unserer Anwendung wird auf letzteres, also auf Überlagerung aus der PLC heraus, zurückgegriffen“, erklärt Obermeier. „Immer wenn die Temperatur vom Sollwert abweicht, überschreibt die PLC die programmierte Geschwindigkeit. Wenn also die Temperatur zu hoch ist, dann wird per Override von 100 Prozent herunterreguliert; ist die Temperatur zu niedrig wird, entsprechend hochreguliert auf maximal 200 Prozent.“ Der Vorschub selbst wird mit mm/min programmiert, z.B. F = 1200 mm/min.
Wenn beispielsweise:
- Programmierter Vorschub aus dem CAM: F = 1000 mm/min
- Gemessene Temperatur: 170 °C
- Solltemperatur: 195 °C
- Die aktuell gemessene Temperatur im Prozess weicht nach unten ab, der Kunststoff ist also zu kalt. Hier hilft es für die kommenden Schichten die Vorschubgeschwindigkeit zu erhöhen. Das regelt die PLC über den Einfluss auf den Vorschub-Override.
- Der neue von der PLC errechnete Vorschub-Override liegt bei 118 %, das bedeutet, dass der neue Vorschub 118 % x 1000 mm/min = 1180 mm/min ist.
Das Problem ist allerdings, dass Vorschübe derzeit nur in 100er-Schritten möglich sind. Für das Rechenbeispiel bedeutet das, dass nicht die notwendigen 1.180 mm/min eingestellt werden, sondern 1.200 mm/min. Daher findet momentan nur die Analyse automatisiert statt. Regeln müssen Anwender noch per Hand.
Einfach nachzurüsten – aber lohnt es sich?
Das System, also die separate SPS und der IPC, können an jedem beliebigen MEX- oder DED-3D-Drucker nachgerüstet werden. Die Sensorik im Prinzip auch. Beim DED-Verfahren benötigen Anwender Kameras, die für metallische Anwendungen geeignet sind. Für MEX-Drucker werden analoge Sensoren und Kameras mit Fokus auf einen Temperaturbereich von 0 bis 800 °C benötigt. Über die Anbindung müssen sich Anwender weniger Gedanken machen, denn das IPC-System ist sensoragnostisch und benötigt nur eine standardmäßige Kommunikationsverbindung zum Sensor.
Die Frage ist: Rentiert es sich für jeden 3D-Drucker und jede Anwendung? Obermeier sieht den wirtschaftlichen Nutzen eher bei größeren Systemen mit längerer Druckjob-Dauer. „Unsere Zielgruppe sind vor allem Industrieroboter-gestützte Anlagen und große Portalmaschinen, mit teilweise vielen Kubikmetern und Druckvolumen“, präzisiert er. „Aber auch für anspruchsvolles Prototyping kann die Applikation sinnvoll sein“, ergänzt er, „weil es beim Prototyping ja selten zu mehreren Gleichteilen kommt. Dadurch spielt auch hier „First-Time-Right“ eine wichtige Rolle.“
Pilotkunden arbeiten bereits mit dem System, „über weitere interessierte Pilotkunden freuen wir uns natürlich immer“, versichert Obermeier. Den Markt-Release plant Siemens im Laufe dieses Jahres.