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Warenfluss im Logistik-Zentrum in Bad Mergentheim: Die Würth-Gruppe wächst trotz konjunktureller Abkühlung weiter.
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Warenfluss im Logistik-Zentrum in Bad Mergentheim: Die Würth-Gruppe wächst trotz konjunktureller Abkühlung weiter.

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„Die Möglichkeiten sind unvorstellbar groß“

Die wirtschaftliche Lage ist für viele Unternehmen gerade schwierig. Manche verlagern Werke ins Ausland oder gehen ganz. Die Würth-Gruppe dagegen setzt weiter auf den Standort Deutschland. Rainer Bürkert, Mitglied der Konzernführung, und Olaf Ambros, Technikleiter der Würth-Tochter Baier & Michels, sprechen mit uns über den Einsatz von KI, Innovationslust bei Verbindungselementen und das Disruptionspotenzial einer neuen Fertigungstechnologie.

Das Interview mit Rainer Bürkert und Olaf Ambros findet in Bad Mergentheim statt – am Sitz von Würth Industrie Service (WIS), einer der Tochtergesellschaften innerhalb der Gruppe. Wer das neun Fußballfelder große Areal (65.000 m2) betritt, erhält Einblicke in ein Logistikzentrum, das europaweit als das modernste seiner Art gilt: Entlang eines 50 Meter hohen Regals lagern vollautomatisierte Regalbediengeräte Paletten ein und aus. Am Boden fahren Behältershuttles autonom, selbstlernende Roboter unterstützen die Beschäftigten beim Kommissionieren der Ware.

Herr Bürkert, im Jahr 2022 hat die WIS 30 Millionen Euro in die erneute Erweiterung des ohnehin gewaltigen Logistikzentrums investiert. Was sind die Ziele dahinter?

Bürkert: In erster Linie geht es um eine Verbesserung der Ergonomie für unsere Mitarbeitenden. Zudem wollen wir eine steigende Produktivität und eine Liefersicherheit bieten, auf die sich die 20.000 WIS-Kunden in Europa verlassen können. Der Schlüssel liegt darin, mutige Ideen mit wegweisenden Technologien umzusetzen.

Auch auf Konzernebene?

Bürkert: Selbstverständlich. Das gilt für die Logistik, aber gerade auch für die Produkte selbst. Was das in der Praxis bedeutet, sieht man unter anderem rund 100 Kilometer nordwestlich von hier, im hessischen Ober-Ramstadt.

Dort liegt der Hauptsitz von Baier & Michels, kurz B&M, einem weiteren Unternehmen, das unter dem Dach der Würth-Gruppe agiert. B&M hat nun mitgeteilt, dort die Produktion ausbauen zu wollen. Herr Ambros, haben Sie in der Planungsphase das Ausland als ernsthafte Option betrachtet?

Ambros: Nein. Deutschland als Standort für die neue Fertigung ist für uns nicht nur sinnvoll, sondern fast schon zwingend.

Warum?

Ambros: Weil bei B&M innovative Produkte auf innovative Prozesse treffen. In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, Direktverschraubungs- und Dichtsysteme hervorzubringen, die nahezu konkurrenzlos sind. Sie bieten den Kunden so hohen Nutzen, dass zum Beispiel die hohen Lohnkosten aufgefangen werden. Und unsere Produktionsanlagen bergen so viel selbst entwickelte Technologie, dass wir sie aus Gründen des Know-how-Schutzes nicht im Ausland aufstellen wollen.

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Ihre Verbindungselemente kommen größtenteils im Automobilbau zum Einsatz. Welche Anforderungen stellt die Branche an Sie?

Bürkert: Auf der einen Seite sind da die teils aufwendigen Bemusterungsprozesse, Zertifizierungen und langfristige Dokumentationen. Der andere Punkt sind die immer kürzeren Entwicklungszyklen.

Ambros: Früher dauerte ein Entwicklungszyklus rund sieben Jahre, inzwischen sind wir in Deutschland bei vier Jahren. Der internationale Wettbewerb liegt im Schnitt bei zwei.

Die Beschleunigung hat auch mit der Elektromobilität zu tun. Wie wirkt sie sich auf Ihre Produkte aus?

Ambros: Zwar entfallen die klassischen Schrauben im Antriebsstrang, Motor und so weiter. Zugleich gibt es riesige Potenziale bei Batterietechnologien, und auch der E-Antriebsstrang braucht neue Verbindungselemente.

Mit welchen Problemen treten die Hersteller und Zulieferer von E-Autos an Sie heran?

Ambros: Derzeit kommt es oft vor, dass die Entwicklung bereits weit vorangeschritten ist und dann erst die Frage nach dem passenden Verbindungselement auftaucht. Nehmen wir etwa das Konzept der Mischbauweise. Da gilt es, unterschiedliche Werkstoffe prozesssicher zu fügen – gerade bei höchstbeanspruchten Bauteilverbindungen in crashrelevanten Komponenten, ob aus Stahl oder Aluminium.

Meinen Sie etwa Bereiche wie Achs-, Sitz- oder Batterieanbindungen?

Bürkert: Exakt. B&M hat hierfür ein Direktverschraubungssystem parat, das sich von der konventionellen Geometrie absetzt und so dem Innenleben der einzelnen Komponenten mehr Stabilität und Sicherheit verleiht.

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Wie steht es um die kohlefaserverstärkten Werkstoffe?

Ambros: Hier ist die Verbindungstechnik von großer Bedeutung. Denn zwischen dem CFK-Bauteil und dem mit ihm verbundenen Stahlteil kann es zu Korrosion kommen. Dafür haben wir eine Lösung erarbeitet.

Carbonfasermaterialien ohne Korrosionsprobleme verschrauben – was braucht es dafür?

Bürkert: Wir sind hier im Bereich von hochkorrosionsresistenten Materialien unterwegs. Die lassen sich allerdings nicht mit Kaltumformung bearbeiten. B&M musste also seine Anlagen so modifizieren, dass man Vorwärmaggregate in den Pressen integrieren konnte, um dort einen temperaturgeführten Prozess zu gestalten.

Ambros: Wir haben aber nicht nur die Seite der Schraube beleuchtet, sondern auch die Carbonstruktur des Bauteils. Da gibt es viel zu beachten, eine Delamination zum Beispiel. Um dies zu vermeiden, haben wir den B&M-Carbonconnect, einen bauteilintegrierten Einschraubtubus, für hoch belastbare CFK-Verschraubungen entwickelt. Neben der Vermeidung von Delaminationseffekten generieren wir gleichzeitig mehr Einschraubtiefe und somit für den Kunden eine robustere Verbindung.

Wie bewerten Sie das Thema Gewicht in der E-Mobilität?

Bürkert: Gewicht ist ein Schlüsselfaktor für mehr Reichweite. Hier punkten wir beispielsweise mit dem von B&M entwickelten Fertigungsverfahren B&M-Ecco Tec, um den Komponenten sozusagen eine wirkungsvolle Diät zu verordnen. Der Name steht für Ecological Coldforming Technology.

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B&M-Ecco Tec – was steckt dahinter?

Bürkert: B&M-Ecco Tec bringt das disruptive Potenzial mit, einen ganzen Wirtschaftszweig nachhaltig zu verändern. Denn das spanlose Verfahren sorgt nicht nur für spürbar mehr Geschwindigkeit im Produktionsprozess. Damit lassen sich auch Bauteile konstruieren, die bis zu 15 Prozent leichter sind, weil sie aus einem Stück geformt werden.

Wie ist das möglich?

Bürkert: Das ist relativ einfach. Heute fertigt man viele komplexe Teile in der Regel per Drehen oder Fräsen, also spanend. Dabei werden aber die Fasern des Materials zertrennt. Mit B&M-Ecco Tec formen wir das Ganze aus einem Stück. Dadurch bleiben die mechanischen Eigenschaften des Materials erhalten, was wiederum Gewicht und Bauraum reduziert.

Ambros: Hinzu kommen bisher ungeahnte Potenziale zur Gestaltung der Außengeometrie: Hinterschnitte, Verzahnungen, Einstiche und Rillen sind ebenso umsetzbar wie komplexe Profile und Funktionsflächen mit engen Toleranzen. Mit dem Prinzip Umformen statt Zerspanen sorgt B&M-Ecco Tec für kurze Prozesszeiten und hohe Ausbringungsmengen maschinenfallender Teile. Dabei reduziert das Verfahren sowohl die Fertigungskosten als auch den ökologischen Fußabdruck.

Herr Bürkert, wie viel investieren Sie innerhalb der Würth-Gruppe in Forschung und Entwicklung?

Bürkert: Wo fängt eine Neuentwicklung an? Die Idee entsteht oft schon im Außendienst. Daher ist das schwer abzuschätzen. Aber wenn wir nur die Entwicklungsabteilung betrachten, liegen wir schon bei mehreren Hundert Millionen Euro.

Das klingt nach viel Entwicklungspotenzial. Ist das bei Schrauben denn so groß?

[beide lachen] Ambros: Wir haben weitaus mehr Ideen, als uns Ingenieure für die Umsetzung zur Verfügung stehen.

Was macht die Produkte von B&M aus?

Ambros: Sie sind keine Varianten von irgendetwas Existierendem, sondern Neuentwicklungen für konkrete Problemstellungen. So wie etwa die sogenannte Reparaturmutter, die durch lokale Umformung verschmutzte oder beschädigte Gewinde wieder gangbar macht – die Lösung ist besonders in der Agrartechnik gefragt.

Das bedeutet, dass Sie ganz genau wissen müssen, wo ihren Kunden der Schuh drückt.

Ambros: Ja, das ist unser Ansatz. Ein Beispiel ist der B&M-KL Plug, mit dem Bohrungen verschlossen werden, die unter hohem Druck stehen, etwa bei einem Getriebe. Früher wurden die Bohrungen so aufwendig verschlossen, dass man das Dichtelement nicht mehr ohne weiteres entfernen konnte. Auch bei Wartungen nicht. Unser Element ermöglicht eine einfache De- und Remontage. Es sorgt auch dafür, dass durch eine intelligent gewählte Einbauposition des Verschlusselements die im Getriebe benötigte Menge an Öl bis zu 15 Prozent geringer ist.

Und wenn dann noch die Schraube den Ölstand misst und den Instandhalter benachrichtigt, dass ein Ölwechsel bevorsteht, dann sind wir bei Industrie 4.0. Aber Digitalisierung und Schrauben – das hat eher nichts miteinander zu tun ...

Bürkert: Doch! Wir haben zum Beispiel Plug-Varianten mit Sensoren gekoppelt. Sie werten den Wärmezustand im Getriebe aus. Auch bei Windrädern müssen die Verbindungen permanent überwacht werden. Mit speziellen Schrauben, Muttern und Verfahren ist es uns gelungen, diesen Vorgang vollständig zu automatisieren. Wir verbinden moderne Technik mit Sensorik und dem Internet der Dinge.

 

Ambros: Digitalisierung spielt sich nicht nur im Produkt selbst ab, sondern im ganzen Entstehungsprozess. Unsere Fertigung ist schon lange entsprechend digitalisiert. Deswegen ist jedes Material, jedes Gebinde mit einem RFID-Tag versehen.

Welche Herausforderungen sehen Sie für Ihre Organisation momentan?

Bürkert: Durch die demografische Entwicklung wird es immer schwieriger, neue Fachleute zu finden. Das triggert natürlich auch das Thema Automatisierung. Gleichzeitig wird das von unseren Kunden getrieben, die eine immer höhere Produktivität von uns einfordern. Unter anderem, weil durch den Einsatz von KI die Preise immer transparenter werden. Drittens müssen wir gesetzgeberische Vorgaben wie das Lieferkettensorgfaltsgesetz bewältigen.

Das ist einiges. Was verändern Sie derzeit konkret?

Bürkert: Alle Software- und Produktionstechnologien und unsere Logistikketten; sowohl vom Daten- als auch vom Warenfluss. In der Logistik haben wir jetzt schon einen Automatisierungsgrad von 50 Prozent. Bis 2026 wollen wir auf 75 Prozent kommen. Dabei geht es uns nicht darum Menschen abzubauen, wir stellen weiterhin in beträchtlichem Ausmaß ein. Fakt ist: Ohne stark automatisierte Prozesse könnten wir künftig die Aufträge nicht mehr bewerkstelligen.

Ist denn auch der Entwicklungsbereich von dem Prozess der Digitalisierung betroffen?

Bürkert: Vor allem der Entwicklungsbereich. Weil wir mit dem Einsatz von KI zum ersten Mal auf alle verfügbaren Daten im Markt zugreifen können. In der Vergangenheit betrug der Rechercheanteil eines Konstrukteurs 30 bis 40 Prozent. Das wird auf vielleicht zehn Prozent zurückgehen.

 Ambros: Dadurch steigt aber auch die Trefferwahrscheinlichkeit. Früher haben wir beispielsweise das Verhalten eines Umformwerkzeugs per Iterationsschleifen an der Maschine direkt ermittelt. Heute läuft es durch eine Simulation und wird, unterstützt von KI, bereits im Vorfeld abgebildet. So entdecken wir die Schwachstellen viel eher. Das beschleunigt auch die Entwicklung.

Herr Bürkert, wie viel Freiheiten geben Sie denn ihren Entwicklern?

Bürkert: Es gilt der Grundsatz: Erfolg gebiert Freiheitsgrade. Da wir mit B&M ein sehr erfolgreiches Unternehmen haben, machen wir von der Konzernzentrale kaum Vorgaben. Wir wollen die Kreativität unserer Entwickler so wenig wie möglich einschränken.

Können Sie das bestätigen, Herr Ambros?

Ambros: Absolut! Die Möglichkeiten, die uns gegeben werden, Produkte, aber auch das Unternehmen B&M selbst weiterzuentwickeln, sind unvorstellbar groß.

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