Der Boehlerit-Konzern, 1932 gegründet, ist einer der weltweit führenden Hersteller von Verschleißschutzlösungen und Zerspanungswerkzeugen für Metalle und Verbundwerkstoffe. „Wir beschäftigen derzeit über 800 Mitarbeiter, verfügen über drei Fertigungsstandorte zur Produktion von Schneidstoffen, Halbzeugen, Präzisionswerkzeugen und -systemen, die auch viele andere Toolmaker beziehen“, skizziert Vertriebsleiter Gerhard Melcher das Portfolio. Boehlerit steuert aus der österreichischen Obersteiermark nahe Graz rund ein Drittel des Gruppenumsatzes bei und verfügt als einer der wenigen Werkzeughersteller in Europa über zwei Pulvertürme zur Herstellung des so vielseitig einsetzbaren und formbaren Hartmetalls.
Unendliche Möglichkeiten
„Hartmetall ist einfach genial, bietet unendliche Möglichkeiten“, betont Gerhard Melcher. Der aus gut 90 % Wolframkarbid (Körner mit 0,5 bis 1 µm Größe) und bis zu 10 % Kobalt bestehende Werkstoff kommt als Matrix, Bindemittel und Zähigkeitskomponente zum Einsatz. „Heute ist Hartmetall gefragter denn je“, berichtet Gerhard Melcher. Der jährliche Verbrauch von Wolframkarbid würde bei über 105.000 t liegen. Problem sei das bis dato unersetzbare Kobalt, das fast ausschließlich im afrikanischen Kongo in einer Mine abgebaut wird. Mit einem Kobalt-Engpass wird ab 2027 gerechnet. „Gut ist, dass das Recycling mittlerweile sehr gut funktioniert. Rund 80 Prozent des Bedarfs werden heute aus Recyclingprozessen gewonnen. Das Wolframkarbid beziehen wir derzeit von zwei relativ naheliegenden europäischen Rohstofflieferanten“, deren Qualifizierung aber generell sehr aufwändig sei, wie Gerhard Melcher betont. Momentan verarbeitet Boehlerit rund 1.200 t Hartmetall pro Jahr.
Ökologie nicht ohne Ökonomie
Derzeit unterliegen die Absatzmärkte starken Veränderungen, vor allem der Zerspanungsmarkt. „Wir suchen natürlich weiter nachhaltige Marktsegmente, denn Ökologie wird nur funktionieren, wenn auch die Ökonomie funktioniert“, erklärt Gerhard Melcher das 1x1. „Wir registrieren in der Automobilindustrie deutliche Rückgänge. Deshalb orientieren wir uns auf stabile, zukunftsorientierte Segmente wie Windkraft, Schiene, Wasserkraftturbinen, Radsatz und auf die Produktion von Verschleißteilen, die tatsächlich auch immer mehr in der E-Mobilität nachgefragt werden. In Summe produzieren wir derzeit bereits fast zwei Dutzend Verschleißteiltypen für ein E-Auto – vom Ultraschallmesser zum Schneiden von Carbon, Maritzen und Stempelrohlingen für Stanzwerkzeuge bis zu den Wälzfräsern, die Zahnräder erzeugen. Großes Potenzial für die Stahl- und Werkzeugindustrie steckt natürlich auch in den neuen Windkraftkonzepten, bei denen die Anlagen im Meer installiert werden“, so Melchers. Vor allem in Spanien und Taiwan würden umfangreich Offshore Windkraftanlagen auf Stahlturmbasis geplant und mit vielen Werkzeugen aus Kapfenberg in Form gebracht werden.
Das nachhaltige Kassettenkonzept
Ein großes Plus sind heute die Werkzeugsysteme, betont Gerhard Melcher. Demnach müssen die Kunden von Boehlerit nicht ganze Fräskörper mit bis zu 1,6 m Durchmesser austauschen, auf denen bei Wettbewerbskonzepten die Wendeschneidplatten direkt aufgeschraubt werden. Denn Boehlerit liefert statt der Monoblock-Lösungen bevorzugt modulare Kassettenlösungen, bei denen zwischen Fräskörper und Wendeschneidplatte eine Kassette eingesetzt wird, die nach Bedarf ausgewechselt wird. „Dieses Kassettenkonzept ist sehr nachhaltig, weil so keine Schäden an den riesigen Fräskörpern auftreten, die Fräskörper somit nicht eingeschickt, sondern nur vom Zerspaner durch Austausch der Kassetten schnell wieder in Stand gesetzt werden. Das spart viel Zeit und Geld.“ Beispielsweise, so Gerhard Melcher, nutzt ein großer Kurbelwellenhersteller die Fräswerkzeuge mit dem Kassettensystem von Boehlerit in der Regel für die Bearbeitung von über 150.000 Kurbelwellen – bevor nach durchschnittlich zwei Jahren lediglich die Kassetten getauscht werden.
Hochwiderstandfähige Platten für Turbinenschaufeln und Normalien
Weniger mit Engineering-Vorteilen, sondern mit Schneidstoff-Vorteilen punktet Boehlerit indes bei der Bearbeitung von Turbinenschaufeln, die in großer Zahl in Wasserkraftwerken laufen. „Um die sehr zähen und verschleißresistenten Materialien effizient fräsen und reparieren zu können, reichen selbst normale Hartmetallsorten nicht mehr aus. Wir empfehlen hier unsere nicht ohne Grund intern als ‚Atomkraftwerk‘-Serie bezeichneten, hochwiderstandsfähigen Wendeschneidplatten, deren Standzeiten vor allem von zwei besonderen Bestandteilen profitieren“, verrät Gerhard Melcher. „Mit keinen anderen Platten machen wir in Titan 100 Schnittmeter bei 6 bis 10 mm Zustellung und einem Vorschub an der Schneide von 0,35 mm.“ Nicht minder produktiv ist nach Angaben von Gerhard Melcher das Pendant bei der Bearbeitung der Superlegierungen, deren Geheimnis aber vor allem in einer extrem geglätteten PVD-Schicht liegt, der ein nicht näher definierter Ätzprozess vorausging. „Gerade diese Behandlung der BCS35M-Platten eignet sich ideal für die Bearbeitung von Turbinenschaufeln, weil damit die Härte der Kobaltkörner deutlich heraufgesetzt wird. In Summe können damit bis zu 300 Schnittmeter in Turbinenschaufelmaterial erreicht werden“, unterstreicht Gerhard Melcher nicht nur die Produktivität, sondern auch Nachhaltigkeit der Hochleistungsplatten Made in Austria.
Längere Standzeiten
Ähnlich starkes Wachstum wie bei den Turbinenschaufeln für Wasserkraftwerke sieht Gerhard Melcher beim Schienenfräsen. „Der Transport auf der Schiene wird in den nächsten Jahren weiter zulegen. Wir liefern seit Jahrzehnten die passenden Fräswerkzeuge für Schienen und Weichen, die schon heute mindestens ein Mal im Jahr nachgeschliffen werden müssen und in der Regel nach fünf Jahren getauscht werden.“ Zweiter großer Einsatzbereich sind die Eisenbahn-Instandsetzungswerke. Allein die ÖBB betreibt derzeit 15 Reparaturwerke für Österreich. „Dort werden vor allem die Radsätze der Wagons standardisiert mit Kassetten- und Wendeschneidsystemen nachgearbeitet. Knackpunkte sind die Laufflächen und Spurkränze. Dafür bieten wir aber passende Radsatzbearbeitungswerkzeuge an, die ebenfalls mit Verschleißteilen wie Platten-Unterlage und Spannhülse die Standzeit der Klemmhalter deutlich verlängern“, erklärt Gerhard Melcher auch diese nachhaltige Lösung. Dass der Einsatz von Hartmetall letztlich sogar in der Kakaoproduktion und Grundbodenbearbeitung der Landwirtschaft Gutes tut, unterstreicht der Vertriebsleiter mit einem eigens entworfenen ‚Kakaoschläger‘ und den Agrar-Gruberscharen. Beide erhöhen die Standzeit massiv. „Die Hartmetall-Hackschare ist zwar drei Mal teurer als die Stahlausführung – hält dafür aber sechs Mal länger, was also nicht nur viel höhere Standzeiten bedeutet, sondern auch fünf Scharen-Wechsel sowie deren Produktion, Einkauf, Transport, Montage, Demontage und Verschrottung erspart“, unterstreicht Gerhard Melcher den Nutzwert.